Ob gegen Fieber, Husten oder Gliederschmerzen – in den Wintermonaten sind einige Medikamente schwer gefragt. Doch welche Wirkstoffe sind es, die uns gerade dabei helfen, auf den Beinen zu bleiben?
Wir haben nachgeschaut, was im vergangenen Winter zwischen Oktober und Januar besonders häufig in Deutschland verkauft wurde und wieviel davon Generika waren. Ihr Anteil betrug 92 Prozent.
Xylometazolin
Typ: Nasenspray
Einsatz: zum Abschwellen der Nasenschleimhaut
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 22,3 Millionen
Paracetamol
Typ: fiebersenkendes Schmerzmittel
Einsatz: bei Schmerzen und Fieber, beispielsweise bei grippalen Infekten
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 11,6 Millionen
Acetylcystein
Typ: Schleimlöser
Einsatz: zum besseren Abhusten, zum Beispiel bei Bronchitis
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 4,3 Millionen
Amoxicillin
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 2,9 Millionen
Azithromycin
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der unteren und oberen Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 1,3 Millionen
92
So hoch war der Anteil der Generika an der Gesamtzahl der Packungen bei diesen zehn Medikamenten.
Cefuroxim
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 1,3 Millionen
Cefaclor
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 514.000
Codein
Typ: Hustenblocker
Einsatz: lindert den Hustenreiz
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 363.000
Salbutamol
Typ: Spray gegen Atemnot
Einsatz: entspannt die Atemwege, wird auch bei Asthma eingesetzt
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 337.000
Ipratropiumbromid
Typ: Spray gegen Atemnot
Einsatz: entspannt die Atemwege, wird auch bei Asthma eingesetzt
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 111.000
Warum sind unsere Antibiotika knapp?
In unseren Apotheken sind Antibiotika zur Mangelware geworden. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine multimediale Spurensuche mit Weltkarte, die zeigt, wo die wichtigsten Antibiotika derzeit produziert werden.
Ein guter Teil der deutschen Bevölkerung leidet unter Asthma, Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen. Wussten Sie, dass kaum jemand von ihnen ohne Generika behandelt wird?
Das Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) soll die Arzneimittel-Knappheit beenden. Es werde – sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach – dazu führen, dass Generika-Unternehmen ihre Arzneimittel bald verstärkt in Europa herstellen.
Doch ist das so? Wir haben Unternehmen gefragt, ob das Gesetz sie dazu befähigt, ihre Produktion hierzulande auszuweiten. Die Antworten sind unterschiedlich – beginnen aber immer gleich.
„Ich baue kein Werk, weil …“
… das ALBVVG lediglich dafür sorgt, dass ich bei der Produktion von Fiebersaft kein Minus mehr mache. Klar – Kinderarzneimittel dürfen jetzt 50 Prozent mehr kosten, machen aber nur ein Prozent der produzierten Arzneimittel aus. Mit Blick auf die anderen Medikamente – etwa gegen Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen – ändert sich nichts. Wo ist da der Anreiz, ein Werk auszubauen?
Andreas Burkhardt, General Manager Teva Deutschland und Österreich
„Ich baue kein Werk, weil …“
… das ALBVVG für mich genau nichts verändert hat. Als sogenannter Vollsortimenter haben Kinderarzneimittel, Antibiotika und Krebsmittel nur einen verschwindend geringen Anteil an unserem Portfolio. Und für alle anderen Medikamente ändert sich ja nichts. Was also sollte uns dazu bringen, ein Werk zu bauen?
Ingrid Blumenthal, Geschäftsführerin Aliud Pharma
„Ich baue kein Werk, weil …“
… ich dank des ALBVVG mein Geld in Lagerplatz stecken muss, statt in Maschinen oder gar Werke zu investieren. Bewerbe ich mich für einen Rabattvertrag, muss ich nunmehr einen Vorrat von sechs Monaten vorproduzieren. Bislang waren es drei. Diese Extra-Produktion aber bindet so viel Geld und Ressourcen, dass an eine Ausweitung der Kapazitäten gar nicht zu denken ist.
Josip Mestrovic, Geschäftsführer Zentiva
Warum sind unsere Antibiotika knapp?
In unseren Apotheken sind Antibiotika zur Mangelware geworden. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine multimediale Spurensuche mit Weltkarte, die zeigt, wo die wichtigsten Antibiotika derzeit produziert werden.
Jetzt Arzneimittelengpässe von morgen verhindern!
Hilft ein Frühwarnsystem gegen Medikamentenengpässe? Wir verraten, welche Arzneimittel knapp werden könnten, woran das liegt und wie sich gegensteuern ließe.
Dazu sagt Andreas Burkhardt, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika: „Unsere Mitgliedsunternehmen haben ihre Kapazitäten bis zum technischen Limit erhöht und produzieren bei Vollauslastung. Ob die Medikamente für den Winter reichen werden, hängt im Wesentlichen von Faktoren wie der Infektionslage ab.“
Mit Blick auf die Maßnahmen, die das Gesundheitsministerium jetzt ergreifen will, sagt Burkhardt: „Als akute Symptombehandlung sind einzelne Schritte hilfreich. Am Grundproblem ändern sie nichts. Wenn die Politik nicht endlich die Strukturen ändert, sitzen wir nächstes Jahr wieder hier und überlegen, wie wir möglichst glimpflich durch den Winter kommen.“
„Um mehr produzieren zu können, müssten wir dringend in den Ausbau unserer Produktionskapazitäten investieren“, so Burkhardt weiter. „Das aber können wir derzeit nicht, denn es fehlt die ökonomische Grundlage. Das ALBVVG wird daran nichts ändern. Es schafft keine Anreize und berücksichtigt lediglich ein Prozent der Arzneimittel. Und das obwohl die Versorgung bei Krebs‑, Diabetes- und Schmerzmitteln nicht minder fragil ist und Engpässe jetzt schon absehbar sind.“
Für Burkhardt ist klar: Der Dialog mit der Politik muss weitergehen. „Treffen wie dieses machen nur Sinn, wenn sie ein Anfang sind. Es braucht einen konstruktiven Dialog, der zu langfristig wirkenden Maßnahmen führt.”
Wie in einer Prager Fabrik das Schmerzmittel Metamizol produziert wird
Engpässe bedrohen die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Viele Hersteller haben sich aus der Produktion zurückgezogen. In Prag steht eine der letzten europäischen Fabriken, in denen das Schmerzmittel Metamizol noch produziert wird. Ein Besuch im Werk des Generika-Herstellers Zentiva.
Sand. Sand könnte die Lösung für Haus Nummer 204 sein. Das Gebäude im Industriepark kurz vor Prag ist eines der wichtigsten im Werk von Zentiva. Ununterbrochen läuft die Produktion hier. Sie braucht Energie, rund um die Uhr – aber das ist gerade nicht ganz so einfach.
Damit Energie auch nachts nachhaltig geliefert werden kann, denkt man bei Zentiva zusammen mit Prager Universitäten über neue Energiespeichersysteme nach. „Sand aufzuheizen, ihn als Speichermedium zu nutzen, um dann die Energie abzugeben, könnte ein Mittel sein“, sagt Standortleiter Dr. André Ridder. Die Produktivität ließe sich auf diese Weise noch einmal steigern. Doch dafür braucht es noch Zeit, Forschung und vor allem: Planungssicherheit.
Mehr Leute müssen her
Solange sie das nicht haben, müssen Ridder und sein Team auf andere Weise ihren Output erhöhen. Derzeit arbeiten in Prag 850 Menschen. Bis Ende dieses Jahres sollen 50 hinzukommen. Pro Metamizol-Schicht sind dann 28 von ihnen im 24-Stunden-Betrieb im Einsatz – an sieben Tagen in der Woche. Eine der Aufgaben für Haus 204: Die Rohstoffe wiegen, aus denen das Arzneimittel besteht, das Millionen von Menschen in Deutschland dringend benötigen.
Am Fließband: Die Metamizol-Produktion am Zentiva-Standort Prag läuft auf Hochtouren.
Die Bänder laufen nonstop
Es ist hell in den Produktionsräumen, sonnendurchflutet. Wer hier arbeitet, trägt Mundschutz. Denn die kleinste Verunreinigung kann bedeuten, dass man gesamte Chargen wegwerfen muss. Ein bisschen sieht es hier aus wie in einem Labor. Ohne Unterlass laufen die Bänder. Maschinen rattern und es klackert leise, während Metamizol-Fläschchen als stetiger Strom über die Bänder rauschen.
Im Lager stapeln sich die versandfertigen Kartons. Dank der neuen Mitarbeitenden kann man hier bald noch mehr produzieren. Doch ob das reicht, um alle Patient:innen zu versorgen, kann niemand sagen. Die Gefahr von Engpässen schwebt auch über dem Werk in Prag – und ist eine Folge des Kostendrucks, unter dem viele Generika-Hersteller produzieren.
Schritt für Schritt zum Schmerzmittel: Zunächst werden die verschiedenen Ausgangsstoffe für Metamizol angerührt und homogenisiert.Die Suspension fließt anschließend für die weitere Verarbeitung in einen Edelstahltank.Eine Maschine füllt dann die Arznei unter Einhaltung strenger Hygienebedingungen ab.Anschließend erhält jedes Fläschchen Metamizol ein Etikett mit allen nötigen Herstellerangaben.Bereit für den Versand: Das fertige Produkt wird ins Lager transportiert – und von dort aus in alle Welt.
Reicht das Metamizol für alle?
Metamizol ist ein Schmerzmittel, das vor allem in Krankenhäusern zum Einsatz kommt. Krebspatient:innen erhalten es gegen Tumor-Schmerzen. Und zwei Drittel aller Patient:innen erhalten es nach einer Operation. Im Jahr 2022 wurden für GKV-Versicherte insgesamt 272 Millionen Tagesdosen verordnet – davon 82,6 Millionen in Form von Tropfen.
„Deutschland ist ein Generika-Markt“, sagt Josip Mestrovic, General Manager von Zentiva. „Acht von zehn Patient:innen bekommen eine generische Packung verordnet.“ Dabei entfielen gerade einmal 7,1 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben der Krankenkassen auf die Hersteller von Generika. „Da fehlt die Balance“, so Mestrovic. „Mit 7,1 Prozent der Kosten kann man nicht 80 Prozent der Bevölkerung mit Medikamenten versorgen.“
Mestrovic wundert es nicht, dass in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen aus dem Markt ausgestiegen sind und es immer wieder zu Versorgungsengpässen bei Medikamenten kommt. Zwar betont er, dass man insbesondere die Produktion von lebensrettenden Medikamenten aus ethischer Verantwortung heraus schwerlich einstellen könne. Gleichzeitig macht er klar, dass man in vielen Bereichen schlicht nicht mehr kostendeckend produzieren könne. „Wir wollen die Menschen mit Arzneimitteln versorgen und sind dabei doch auch ein Wirtschaftsunternehmen“, sagt Mestrovic.
Im Kampf für die Arzneimittelversorgung: General Manager Josip Mestrovic im Zentiva-Lager in Prag.
Wegen der geringen Erstattungspreise kauft Zentiva den Wirkstoff für Metamizol längst in China ein. Dass man weiterhin die Lagerhallen mit Medikamenten bis unters Dach bestückt hat, erklärt sich auch durch die Quasi-Monopolstellung des Unternehmens. Bei Metamizol hat Zentiva in Deutschland einen Marktanteil von rund 75 Prozent. Außer ihnen gibt es bloß noch einen weiteren Produzenten, der in nennenswertem Umfang das Schmerzmittel produziert. Die anderen Anbieter haben nur winzige Marktanteile. „Für die meisten Hersteller lohnt sich die Produktion von Metamizol schlicht und ergreifend nicht mehr“, weiß Mestrovic.
Die Preise sind schlicht zu niedrig
Die Gründe dafür kennt Ulrike Holzgrabe gut. Die Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie an der Uni Würzburg erklärt: „Wir haben 2009 ein Arzneimittelgesetz bekommen, in dem Festbeträge für die Kosten eines Generikums festgelegt worden sind. Diese Beträge sind seitdem nicht erhöht worden, obwohl die Produktionskosten immer mehr gestiegen sind.“
In der Praxis sieht das dann so aus: Das Prager Werk von Zentiva produziert rund fünf Millionen Flaschen an flüssigem Metamizol zu je 1,27 Euro pro 20-Milliliter-Flasche. So hoch ist der Festbetrag – also das, was die Krankenkassen dem Hersteller für sein Arzneimittel erstatten. Von diesem Betrag gehen allerdings noch Rabatte ab, die die Hersteller den Krankenkassen gewähren. So schreibt etwa die AOK als die größte Krankenkasse Deutschlands den Bedarf für den ambulanten Markt exklusiv aus. Das heißt: Sie beauftragt allein das Unternehmen mit der Produktion von Metamizol, das ihr den höchsten Rabatt anbietet.
Was, wenn man die Ausschreibung nicht gewinnt?
Ob Zentiva den nächsten Rabattvertrag ab Februar 2024 mit zwei Millionen Flaschen gewinnen wird, weiß derzeit niemand. Und auch nicht, was man dort im Zweifel mit den Flaschen macht, die bis dahin möglicherweise umsonst produziert wurden. So viel aber weiß man: Investiert werden kann erst einmal gar nichts. Weder in Sand noch in neue Abfülleinheiten, die den Output noch einmal erhöhen könnten. Dazu ist der Planungshorizont durch die Rabattverträge viel zu kurz.
Als Zentiva das Arzneimittel 2005 in Deutschland einführte, sahen die Rahmenbedingungen noch anders aus. Es gab noch keine Rabattverträge, nicht diesen Preisdruck, von Krieg in Europa, Inflation und Energiekrise ganz zu schweigen. „Man muss sich nur mal vorstellen, was wäre, wenn es dieses Schmerzmittel nicht mehr gäbe“, sagt Mestrovic. Die Folgen für die medizinische Versorgung wären katastrophal. „Man kann bei Medikamenten nicht, wie etwa in der Bau- oder Autoindustrie, sagen: Dann kommt es halt später“, sagt Mestrovic. Die Betroffenen brauchen das Medikament – wer möchte ihnen erklären, dass es gerade Lieferschwierigkeiten gibt?
Ohne Unterlass klackern die Flaschen, die über die Bänder rauschen
Die Abhängigkeit ist riesig
Ein Problem sind auch die Lieferketten. Verschiedene Roh- und Verpackungsmaterialien wie beispielsweise Aluminiumfolie werden knapper.
Die Gründe dafür kennt Wissenschaftlerin Ulrike Holzgrabe: „Wir haben nicht nur das Problem, dass wir Zwischenprodukte und Reagenzien in China kaufen müssen. Wir haben eine ganze Menge an chemischer Industrie in Deutschland verloren. Die Halogenchemie beispielsweise, die sich damit beschäftigt, wie man ein Fluor- oder Chlor-Element an ein Molekül bekommt, machen wir hierzulande nicht mehr, weil es die Umwelt belastet“, sagt Holzgrabe. Die Produktion anderer Substanzen sei eingestellt worden, weil es schlicht zu teuer sei. Das lasse sich vielleicht wirtschaftlich nachvollziehen, aber damit begebe man sich in eine gefährliche Abhängigkeit. Die Folgen, wenn es kurzfristig aufgrund eines politischen Konfliktes zu einem Lieferstopp käme, wären für das deutsche Gesundheitssystem verheerend.
Produktion in Europa statt in Asien: der Zentiva-Standort Prag.
Nur eine Option: weitermachen
Wie fragil das System ist, sah man bereits in den vergangenen Monaten, als zuerst Fiebersäfte für Kinder und später Antibiotika knapp wurden. Zwar nahm sich die Politik des Problems an und verabschiedete das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Doch leider wurden nur partiell Lösungen erarbeitet und Patient:innen, die für ihre Therapie Schmerzmittel – häufig Generika wie Metamizol – benötigen, profitieren überhaupt nicht von dem Gesetz.
Anstatt sich zu freuen, beobachtet Zentiva-Chef Josip Mestrovic seine steigenden Marktanteile mit großer Sorge. „Das ist kein gutes Zeichen für Deutschland“, sagt er. Denn die letzten verbliebenen Unternehmen könnten nicht die gesamtdeutsche Bevölkerung mit Arzneimitteln versorgen – egal wie viele neue Mitarbeiter gefunden werden, egal in wie viel neue Technologie trotz der unsicheren Lage investiert werden kann, und egal ob Sand in naher Zukunft Energie speichern kann oder nicht.
Im Haus Nummer 204 stellt Mestrovic eine Frage, die er zugleich selbst – mit ruhiger, aber warnender Stimme – beantwortet. „Können wir Arzneimittelsicherheit in den nächsten fünf Jahren gewährleisten? Wir tun alles dafür, aber ich würde meine Hand – Stand heute – dafür nicht ins Feuer legen.“
Jetzt Arzneimittelengpässe von morgen verhindern!
Wie ein Frühwarnsystem Engpässe nicht nur erkennen – sondern ihnen auch vorbeugen kann
Für Generika gibt es viele Preisbremsen. Für einige sogar mehrere auf einmal.
Mehr als jedes zweite Generikum ist sowohl unter Festbetrag also auch unter Rabattvertrag
Für jedes zweite Generikum gelten mindestens zwei Preisbremsen
Rabattverträge, Festbeträge, Preismoratorium: Unser Gesundheitssystem hält diverse Instrumente bereit, die Generika-Preise im Keller halten und eine Anhebung unmöglich machen. Viele davon überschneiden sich. So gelten für 51,7 Prozent der Generika*, deren Preis durch einen Festbetrag bereits fixiert ist, zusätzlich Rabattverträge.
Dichtes Netz aus Preissenkungs-Instrumenten
Hauptsache billig – so lautet die gesundheitspolitische Vorgabe seit Jahren, wenn es um die Versorgung mit Generika geht. Diese machen knapp 80 Prozent der Arzneimittel aus, veranschlagen aber bloß sieben Prozent der Summe, die die Krankenkassen an pharmazeutische Unternehmen abgeben.
Um die Preise niedrig zu halten, gibt es u.a. diese gesundheitspolitischen Instrumente:
Festbetrag: Das ist der Höchstpreis, den die Krankenkassen für ein bestimmtes Arzneimittel erstatten. Erhöhen die Hersteller die Preise über den Festbetrag, müssen die Patient:innen die Differenz bezahlen.
Rabattvertrag: Ihn schließen die Krankenkassen oft mit bloß ein bis drei Herstellern ab. Dabei erhalten der oder die Anbieter den Zuschlag, die den günstigsten Preis bieten. Die Höhe dieser Rabatte ist geheim. Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, aber gab sie in einem Interview mit der FAZ zuletzt mit 90 Prozent an. Rabattverträge laufen über zwei Jahre. Setzt ein Hersteller während dieser Zeitspanne seinen Preis hoch, muss er die Differenz an die Krankenkassen abführen.
Preismoratorium: Es friert den Preis derjenigen Generika, die nicht von einem Festbetrag erfasst sind, auf dem Niveau von 2009 ein. Das Preismoratorium gilt für alle Arzneimittel, die keinen Festbetrag (mehr) haben.
Politik muss alle Instrumente im Blick haben – sonst verpuffen Effekte
Der Kostendruck auf Generika hat die Versorgung destabilisiert. Das hat die Politik jetzt verstanden – und will im ALBVVG Festbeträge für bestimmte engpassgefährdete Arzneimittel erhöhen. Diese Erhöhung aber kommt bei den Herstellern nicht an – da Rabattverträge etwa weiter existieren bzw. das Preismoratorium automatisch greift.
Dazu sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika: „Will die Politik Anreize setzen, engpassgefährdete Arzneimittel zu produzieren, reicht es nicht, ein einziges Preissenkungs-Instrument auszusetzen – es müssen alle sein. Ansonsten verpuffen Maßnahmen, die eigentlich gut gemeint sind und der Kostendruck bleibt, wie er ist. Am Problem der Engpässe kann sich dann aber auch nichts ändern.“
Alle Preissenkungs-Instrumente auf einen Blick haben wir hier ausführlich erklärt.
* Basis ABDATA Stand 15.03.2023, ohne Altoriginale
Mit dem Gesetz ALBVVG will das Gesundheitsministerium die Versorgung mit Krebs-Medikamenten verbessern.
Lieferengpässe bei Tamoxifen wird es aber nicht verhindern.
Ein Jahr ist es her, dass das Brustkrebsmittel Tamoxifen in Deutschland knapp wurde. Nun hat das Gesundheitsministerium ein Gesetz vorgelegt, das Lieferengpässe bekämpfen soll. Doch diesen Anspruch erfüllt es nicht. Für die Versorgung der Tamoxifen-Patient:innen ist der Effekt des Gesetzes gleich Null.
IM GESETZ STEHT: Es gibt Maßnahmen, die ausdrücklich Onkologika wie Tamoxifen in den Blick nehmen. Damit Lieferketten diversifizierter werden, soll fortan in den Ausschreibungen immer auch ein europäischer Hersteller zum Zuge kommen.
FÜR DIE VERSORUNG BEDEUTET DAS: Nichts. Die verbliebenen Tamoxifen-Hersteller wie auch die Zulieferer stammen bereits überwiegend aus Europa.
IM GESETZ STEHT: Preise für versorgungskritische Arzneimittel wie Tamoxifen sollen um 50 % erhöht werden können – sofern es eine Empfehlung des BfArM ans Gesundheitsministerium und eine Abstimmung mit dem GKV-Spitzenverband gibt.
FÜR DIE VERSORGUNG BEDEUTET DAS: Nichts. Denn diese Preiserhöhungen kommen bei Tamoxifen-Herstellern überhaupt nicht an. In den unverändert gültigen Rabattverträgen, die die Hersteller mit den Krankenkassen abgeschlossen haben, ist nämlich festgelegt, dass die Differenz zwischen altem und neuem Preis direkt an die Krankenkassen abzuführen ist. Anders als bei den Kinderarzneimitteln sieht der Gesetzentwurf zudem auch keine komplette Aufhebung der Festbeträge vor.
Keine Entlastung für Tamoxifen-Hersteller
Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, fordert eine Anpassung des Gesetzesentwurfs: „Will das Gesetz die Hersteller entlasten, muss es konsequent vorgehen. Preiserhöhungen bringen nichts, wenn das Geld bei den Kassen und nicht bei den Herstellern landet. Die Produktion von Arzneimitteln muss wieder wirtschaftlich werden, sonst können Hersteller nicht in den Ausbau ihrer Produktion investieren.“
Die letzten zwei Hersteller produzieren für 8 Cent pro Pille
Im Februar 2022 war es zum Beinahe-Versorgungsengpass bei Tamoxifen gekommen. Damals waren fünf Hersteller auf dem Markt gewesen. Jetzt sind es nur noch zwei – alle anderen haben die Produktion eingestellt. Hexal hat inzwischen einen Marktanteil von 80 Prozent und produziert – daran hat sich nichts geändert – für gut 8 Cent pro Tablette.
Dazu sagt Thomas Weigold, Geschäftsführer von Hexal: „Wir haben im Jahr 2022 eine zusätzliche Sonderproduktion von Tamoxifen eingeleitet, um außerordentlich 20 Millionen Tagesdosen Tamoxifen zu produzieren. Wir sehen uns in der Verantwortung, das für die Gesellschaft zu tun. Aber vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt ausgesehen, können wir solche außergewöhnlichen Produktionen bei den jetzigen Preisen langfristig nicht gewährleisten.“
Drei Monate lang dürfen Fiebersaft & Co. teurer werden. So hat es der GKV-Spitzenverband verfügt um das
Engpass-Problem zu bekämpfen. Aber wo sollen diese Arzneimittel herkommen?
Auf Drängen des Bundesgesundheitsministeriums hat der GKV-Spitzenverband kurzfristig beschlossen, Festbeträge für einige Kinderarzneimittel (insgesamt 180 Generika) für drei Monate auszusetzen. So sollen Fiebersaft & Co. schnell wieder auf den Markt gelangen. Die Frage ist jetzt: Wo sollen diese Medikamente herkommen?
Die letzten verbliebenen Hersteller etwa für Fiebersaft produzieren bereits rund um die Uhr. Trotzdem kommen sie angesichts der massiv erhöhten Nachfrage und stetig abreißender Lieferketten nicht hinterher.
Auch wenn sich die Preise für drei Monate erhöhen: Es gibt derzeit schlicht keine Ware, die kurzfristig auf den Markt gebracht werden könnte.
Was es zur Lösung des Problems braucht, sind langfristige Anreize, damit sich wieder mehr Unternehmen an der Produktion von Kinderarzneimitteln und anderen Medikamenten beteiligen.
Es gibt einfach zu wenige Hersteller für Kinderarzneimittel
„Eine Aussetzung der Festbeträge für Kinderarzneimittel, wie sie der GKV-Spitzenverband verfügt hat, ist eine Geste – aber sie wird das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. „Denn: Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?“
Bretthauer: „Kurzfristige Maßnahmen lösen keine strukturellen Probleme: Kein Unternehmen kann Produktionsstätten ausbauen, wenn nach drei Monaten wieder das „Hauptsache billig“-Prinzip gilt. Hersteller werden sich erst wieder an der Produktion von Kinderarzneimitteln beteiligen, wenn sie auch perspektivisch mit auskömmlichen Preisen rechnen können.“
Kostensparinstrumente dürfen Preiserhöhungen nicht abschmelzen
Hinzu kommt: Preiserhöhungen stellen nur Anreize dar, wenn sie auch bei den Unternehmen ankommen. Und das tun sie nur, wenn auch andere, rein auf Kostensenkung abzielende Regelungen wie Rabattverträge, Generikarabatte oder 4‑G-Regel, ausgesetzt werden.
Mit Blick auf das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Gesetz, das die Engpässe bekämpfen soll, sagt Bretthauer: „Die Intention des Gesetzes ist richtig. Die Politik hat verstanden, dass der jahrelange Kostendruck die Engpässe herbeigeführt hat. Jetzt aber kommt es auf die richtige Lösung an – und die darf nicht aus gut gemeinten, aber unwirksamen Adhoc-Maßnahmen bestehen.“
Vor kurzem bangten Patient:innen um Tamoxifen. Ursache für den Engpass war unter anderem, dass nur noch
wenige Hersteller das Brustkrebsmittel produzierten. Jetzt sind es noch weniger geworden: Nur noch zwei Unternehmen produzieren
Anfang des Jahres bangten Brustkrebspatient:innen um Tamoxifen – ein alternativloses Mittel, das seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Ursache für den Engpass war unter anderem, dass nur noch wenige Hersteller das Arzneimittel produzierten. Jetzt sind es noch weniger: Bloß noch zwei Hersteller versorgen die Patient:innen in Deutschland mit Tamoxifen.
Der Grund, dass sich so viele Hersteller aus der Produktion zurückgezogen haben, ist der unverändert niedrige Erstattungspreis.
Seit zwölf Jahren gilt beinahe derselbe Festbetrag, Hersteller erhalten für die Dreimonatspackung Tamoxifen nur gut 8,80 Euro von den Krankenkassen.
Seit dem Frühling haben weitere Hersteller die Produktion eingestellt. Eines davon trägt die Hauptlast – es hat einen Marktanteil von vier Fünfteln.
Engpass bei Tamoxifen war Folge einer dramatischen Marktkonzentration
Zum Engpass bei Tamoxifen kam es, weil einige Zulieferer ihre Preise so weit erhöht hatten, dass die Generikaunternehmen nicht mehr zum Erstattungspreis hätten produzieren können und sich deshalb neue Zulieferer suchen mussten. Die Hersteller, die das betraf, konnten vorübergehend nicht mehr liefern. Die anderen wurden sofort leergekauft. Das BMG erlaubte die Einfuhr von Tamoxifen-Tabletten, ein Unternehmen schob eine Sonderproduktion ein. Das rettete Deutschland vor dem Versorgungsengpass – doch an den Strukturen ändert es nichts.
Versorgung wurde gesichert – die Strukturen sind die gleichen
Im Gegenteil: Derzeit sind noch weniger Hersteller am Markt als vor der Knappheit im Frühling. Von ehemals vier sind bloß noch zwei übrig. Und davon stemmt eins mehr als vier Fünftel der Versorgung.
Politik muss Wirkstoffe wie Tamoxifen retten
„Der Engpass beim Brustkrebsmittel Tamoxifen konnte abgewendet werden, aber das Problem hat sich nicht gelöst. Im Gegenteil: Die Situation am Markt ist noch verschärfter. Es gibt noch weniger Unternehmen als vorher, die die Versorgung sichern. Wenn die Politik jetzt mit dem Generika-Gesetz die Arzneimittelversorgung stärken will, muss sie zuerst bei versorgungskritischen Wirkstoffen wie Tamoxifen ansetzen. Hier braucht es dringend Anreize, damit sich wieder mehr Unternehmen an der Versorgung beteiligen – sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Engpass eintritt.“
Seit Monaten sind Fiebersäfte für Kinder in Deutschland knapp. Grund sind die niedrigen Erstattungspreise.
Jetzt wurde der Festbetrag bei Paracetamol-Fiebersäften zwar erhöht — jedoch nicht genug, um die Lage zu entspannen.
Seit Monaten sind Paracetamol-Fiebersäfte für Kinder in Deutschland knapp. Grund sind die niedrigen Erstattungspreise. Jetzt wurde der Festbetrag – das ist die Summe, die Krankenkassen für ein Präparat erstatten – um 7 Cent für die Hersteller erhöht. Das ist zu wenig, um die Lage zu entspannen.
Bloß 1,36 Euro erhält ein Hersteller für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft derzeit von den Krankenkassen erstattet.
Ab Januar steigt dieser Festbetrag an – auf 1,43 Euro (Herstellerabgabepreis).
Der Festbetrag für Ibuprofen-Fiebersaft – derzeit ebenfalls knapp – wurde nicht erhöht.
Herstellung von Fiebersaft für Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich
Verschiedene Kostensparinstrumente halten den Preis für Fiebersäfte seit Jahren im Keller. Weil sie nicht mehr wirtschaftlich war, stiegen beim Fiebersaft mit dem Wirkstoff Paracetamol immer mehr Hersteller aus der Produktion aus. Seit Mai versorgt Teva allein über 90 Prozent des Marktes – und hat dabei mit explodierenden Kosten zu kämpfen: Allein der Preis für den Wirkstoff Paracetamol ist um 70 Prozent gestiegen.
Schafft die Anhebung des Festbetrags Erleichterung?
„Die Erhöhung bringt uns umgerechnet 7 Cent mehr pro Flasche – zu wenig um aus dem Minusgeschäft raus zu kommen.“, sagt Andreas Burkhardt, Geschäftsführer Teva Deutschland und Österreich. „Es ist ein positives Signal, das Grundproblem aber bleibt.“ Um wirtschaftlich produzieren zu können, hat Teva nun den Preis über den Festbetrag erhöht. Burkhardt: „Das war kein leichter Schritt für uns, da die Patientinnen und Patienten jetzt Zuzahlungen leisten müssen.“
Festbetrag bei Ibuprofen seit Jahren unverändert auf Kellerniveau
Auch bei Ibuprofen-Fiebersaft herrscht eine signifikante Marktkonzentration. Zentiva hat rund zwei Drittel des Marktes zu versorgen. Auch hier ist das Preisniveau ein Problem. Der Festbetrag wurde in den vergangenen Jahren immer nur abgesenkt. Für Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer ist das Erstattungssystem für Kinderarzneimittel eine Ursache für die aktuelle Knappheit: „Wer Kinderarzneimittel herstellt, wird bestraft. Kinder benötigen Säfte – und die sind teurer und aufwendiger zu produzieren. Die Festbeträge berücksichtigen das nicht ausreichend, das muss sich ändern!“
Weitere Fragen und Antworten zu der Situation bei den Fiebersäften finden Sie hier.
Ist Europas letzte vollumfängliche Penicillin-Produktion in Gefahr? Wenn sich die Arzneimittel-Produktion auf wenige Hersteller und
Regionen konzentriert, entstehen gefährliche Abhängigkeiten. Die Energiekrise verschärft aktuell das Problem — das Risiko für Engpässe steigt.
Der österreichische Ort Kundl ist die einzige europäische Produktionsstätte, in der diese lebenswichtige Arzneimittelgruppe noch hergestellt wird – und zwar vollumfänglich, also vom Wirkstoff bis zum Fertigarzneimittel. Jetzt explodieren die Energiekosten und die Frage lautet: Wie lange geht das noch?
Das Werk in Kundl stellt auch Amoxicillin her — ein Penicillin-Derivat, das etwa Kinder bei Lungen- oder Mittelohrentzündungen verschrieben bekommen.
Der Preis, den die Hersteller dafür bekommen, sinkt seit Jahren. Immer mehr Unternehmen haben sich deshalb aus dem Markt zurückgezogen.
Als letztes großes Unternehmen ist Sandoz mit Amoxicillin auf dem deutschen Markt. Das Unternehmen, das in Kundl produziert, hat einen Marktanteil von 70 Prozent.
Eine gefährliche Marktkonzentration
Wie riskant es ist, wenn die Versorgung bloß noch von einem Hauptanbieter gestemmt wird, merken derzeit die Patient:innen in der Apotheke. Während die Bedarfe an Amoxicillin in die Höhe schnellen, kann die Produktion so schnell nicht angepasst werden. Erste Lieferengpässe sind die Folge. Und andere Hersteller können nicht einspringen, da sie die Produktion längst eingestellt haben.
Steigende Energiekosten verschärfen das Problem. „Wir haben bei der Antibiotika-Produktion massive Kostensteigerungen“, sagt Peter Stenico, Country Head Sandoz Germany. „Das Werk in Kundl verbraucht etwa so viel Strom wie die Stadt Innsbruck. Die Energiekosten lagen bisher bei etwa 10 bis 15 Millionen Euro im Jahr. Die Prognose für 2023: Kosten von 100 bis 120 Millionen Euro.“
Trotz explodierender Kosten können die Hersteller die Preise für Amoxicillin nicht erhöhen. Diese werden durch Festbeträge und aggressive Ausschreibungen der Krankenkassen auf Kellerniveau festgeschrieben.
„Wenn Unternehmen mit der Herstellung von Arzneimitteln ins Minus rutschen, müssen sie die Produktion einstellen“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. „Die Politik muss jetzt gegensteuern und es den Generika-Herstellern möglich machen, ihre Preise den Kosten anzupassen. Ansonsten ziehen sich noch mehr Unternehmen zurück und es wird weitere Engpässe geben.“