Der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV) schlägt vor, die Erstattungspreise (Festbeträge) für einige versorgungskritische Wirkstoffe zu senken.
Das konterkariert das Ziel, die Versorgung mit Antibiotika zu stabilisieren.
Versorgungsengpässe scheinen vorprogrammiert, die Politik muss eingreifen.
Betroffen ist u.a. das Antibiotikum Amoxicillin/Clavulansäure, das gegen Blasen- oder Mittelohrentzündung zum Einsatz kommt. Besonders absurd: Dieser Wirkstoff samt therapeutische Alternativen sind von Engpässen betroffen.
Grund für die Lieferengpässe: Immer mehr Hersteller ziehen sich aus der Antibiotika-Produktion zurück, weil sie zum Verlustgeschäft wird. „Jetzt wird es noch schwerer, dieses wichtige Mittel rentabel zu produzieren“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika: „Die Festbetragsabsenkung erhöht die Gefahr, dass weitere Hersteller aus der Produktion aussteigen müssen.“
Die Maßnahme zeige, so Bretthauer, dass der GKV-SV – anders als die Politik – das Problem hinter den Engpässen immer noch nicht verstanden habe. „Der extreme Kostendruck geht zulasten der Versorgung. Da kann man doch Preise nicht noch weiter absenken!“ Das „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ (ALBVVG) gehe zwar nicht weit genug, aber es zeuge von der Einsicht, dass nur mehr Hersteller mit diversifizierten Lieferketten die Versorgung stabilisieren könnten. Diese Erkenntnis werde nun konterkariert.
„Wenn der GKV-SV die beabsichtigten Verbesserungen durch technokratisches Festhalten am Hauptsache-Billig-Prinzip wieder zunichtemachen will, tut politisches Einschreiten not“, so Bretthauer: „Das Gesundheitsministerium muss von seiner Rechtsaufsicht Gebrauch machen und die Absenkung verhindern.“
Hintergrund: Amoxicillin wirkt in Kombination mit Clavulansäure gegen eine Reihe bakterieller Infektionen. Rechnerisch erhalten Hersteller für eine 10er Packung derzeit 16,17 Euro. Dieser Festbetrag soll nach dem Willen des GKV-SV nun auf 12,38 Euro abgesenkt werden.
Ob gegen Fieber, Husten oder Gliederschmerzen – in den Wintermonaten sind einige Medikamente schwer gefragt. Doch welche Wirkstoffe sind es, die uns gerade dabei helfen, auf den Beinen zu bleiben?
Wir haben nachgeschaut, was im vergangenen Winter zwischen Oktober und Januar besonders häufig in Deutschland verkauft wurde und wieviel davon Generika waren. Ihr Anteil betrug 92 Prozent.
Xylometazolin
Typ: Nasenspray
Einsatz: zum Abschwellen der Nasenschleimhaut
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 22,3 Millionen
Paracetamol
Typ: fiebersenkendes Schmerzmittel
Einsatz: bei Schmerzen und Fieber, beispielsweise bei grippalen Infekten
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 11,6 Millionen
Acetylcystein
Typ: Schleimlöser
Einsatz: zum besseren Abhusten, zum Beispiel bei Bronchitis
Verschreibungspflichtig: nein
Verkaufte Generika-Packungen: 4,3 Millionen
Amoxicillin
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 2,9 Millionen
Azithromycin
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der unteren und oberen Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 1,3 Millionen
92
So hoch war der Anteil der Generika an der Gesamtzahl der Packungen bei diesen zehn Medikamenten.
Cefuroxim
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 1,3 Millionen
Cefaclor
Typ: Antibiotikum
Einsatz: u.a. bei bakteriellen Infektionen der Atemwege
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 514.000
Codein
Typ: Hustenblocker
Einsatz: lindert den Hustenreiz
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 363.000
Salbutamol
Typ: Spray gegen Atemnot
Einsatz: entspannt die Atemwege, wird auch bei Asthma eingesetzt
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 337.000
Ipratropiumbromid
Typ: Spray gegen Atemnot
Einsatz: entspannt die Atemwege, wird auch bei Asthma eingesetzt
Verschreibungspflichtig: ja
Verkaufte Generika-Packungen: 111.000
Warum sind unsere Antibiotika knapp?
In unseren Apotheken sind Antibiotika zur Mangelware geworden. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine multimediale Spurensuche mit Weltkarte, die zeigt, wo die wichtigsten Antibiotika derzeit produziert werden.
Ein guter Teil der deutschen Bevölkerung leidet unter Asthma, Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen. Wussten Sie, dass kaum jemand von ihnen ohne Generika behandelt wird?
Das Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) soll die Arzneimittel-Knappheit beenden. Es werde – sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach – dazu führen, dass Generika-Unternehmen ihre Arzneimittel bald verstärkt in Europa herstellen.
Doch ist das so? Wir haben Unternehmen gefragt, ob das Gesetz sie dazu befähigt, ihre Produktion hierzulande auszuweiten. Die Antworten sind unterschiedlich – beginnen aber immer gleich.
„Ich baue kein Werk, weil …“
… das ALBVVG lediglich dafür sorgt, dass ich bei der Produktion von Fiebersaft kein Minus mehr mache. Klar – Kinderarzneimittel dürfen jetzt 50 Prozent mehr kosten, machen aber nur ein Prozent der produzierten Arzneimittel aus. Mit Blick auf die anderen Medikamente – etwa gegen Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen – ändert sich nichts. Wo ist da der Anreiz, ein Werk auszubauen?
Andreas Burkhardt, General Manager Teva Deutschland und Österreich
„Ich baue kein Werk, weil …“
… das ALBVVG für mich nichts verändert hat. Als Vollsortimenter machen Kinderarzneimittel, Antibiotika und Krebsmedikamente nur einen verschwindend geringen Teil unseres Portfolios aus.
… ich dank des ALBVVG mein Geld in Lagerplatz stecken muss, statt in Maschinen oder gar Werke zu investieren. Bewerbe ich mich für einen Rabattvertrag, muss ich nunmehr einen Vorrat von sechs Monaten vorproduzieren. Bislang waren es drei. Diese Extra-Produktion aber bindet so viel Geld und Ressourcen, dass an eine Ausweitung der Kapazitäten gar nicht zu denken ist.
Josip Mestrovic, Geschäftsführer Zentiva
Warum sind unsere Antibiotika knapp?
In unseren Apotheken sind Antibiotika zur Mangelware geworden. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine multimediale Spurensuche mit Weltkarte, die zeigt, wo die wichtigsten Antibiotika derzeit produziert werden.
Jetzt Arzneimittelengpässe von morgen verhindern!
Hilft ein Frühwarnsystem gegen Medikamentenengpässe? Wir verraten, welche Arzneimittel knapp werden könnten, woran das liegt und wie sich gegensteuern ließe.
Wie die Bundesregierung den Pharmastandort Deutschland stärken will — und die Generika-Industrie dabei zu vergessen droht
Mehr Generika-Produktion in Europa: Das ist erklärtes Ziel der Gesundheitspolitik. Grit Müller ist Chefin des größten Generika-Werkes in Deutschland. Ein Gespräch über technologischen Vorsprung, die asiatische Konkurrenz und darüber, wie unsere Nachbarländer Produktionsstätten pushen – während Deutschland bei der Rettung der Grundversorgung zu schlafen scheint.
Darum geht’s!
Derzeit kann sich ein deutsches Generika-Werk wie die Salutas Pharma in Barleben noch gegen die asiatische Konkurrenz behaupten. Was fehlt, ist die Rückendeckung der Politik.
Deutsche Generika-Werke ächzen unter regulatorischen Auflagen und Bürokratie. Dabei müssen sie in einem Wettbewerb bestehen, in dem es einzig um den günstigsten Preis geht.
Europäische Länder wie Österreich oder Slowenien schaffen deshalb Anreize für mehr heimische Produktion — Deutschland bislang nicht.
Die Abhängigkeit von Asien ist ein großes Thema. Wie kann sich ein deutsches Werk wie das Ihrige im preisgetriebenen Generika-Wettbewerb behaupten?
Grit Müller: Wir sind stark in der Technologisierung. Gegenüber vielen ausländischen Werken haben wir 15 Jahre Vorsprung, was das Effizienz- und Automatisierungs-Know-how angeht. Sandoz hat bereits vor Jahren visionär in Hightech investiert und davon zehren wir bis heute. Wir können hier enorme Mengen produzieren. Das macht uns konkurrenzfähig. Hier müssen wir weiter wettbewerbsfähig bleiben, um unsere Führung zu behaupten.
Woran merken Sie das?
Grit Müller: An den Auftragsbüchern. Beim Blutdrucksenker „Metoprolol Succinat“ war Barleben immer Vorreiter. Keiner konnte es so effizient produzieren wie wir. Bis ein indisches Unternehmen eine billigere Version in der Krankenkassenausschreibung angeboten hat. Krankenkassen geben bei Ihren Ausschreibungen keinen Bonus für eine Produktion in Sachsen-Anhalt, sie geben dem billigsten Anbieter den Zuschlag.
Zur Person
Grit Müller arbeitet seit 2006 bei Salutas am Standort Barleben. Die Betriebswirtin und Linguistin begann als Trainee und wollte zunächst nur einen Sommer lang bleiben. Sie blieb bis heute – und ist seit zweieinhalb Jahren Geschäftsführerin.
Mit welcher Strategie steuern Sie gegen?
Grit Müller: Wir setzen auf höhere Marktanteile. Etwa beim Brustkrebsmittel Tamoxifen: Hier wäre es im Jahr 2023 beinahe zu einem erneuten Versorgungsengpass wie 2022 gekommen. Da frühere Wettbewerber aus Kostengründen aus dem Markt ausgestiegen sind — die Politik hat ja keine Preiserhöhung ermöglicht — mussten wir eine unternehmerisch schwierige Entscheidung treffen. Uns war klar: Für den Preis von 8,80 Euro pro Dreimonatspackung können wir nur produzieren, wenn wir hochskalieren. Wir haben also unsere Produktion ausgebaut und können zumindest mittelfristig die Grundversorgung für Deutschland mit Tamoxifen absichern – auch wenn der Preis für dieses lebensrettende Medikament natürlich viel zu niedrig ist.
Aber so entstehen Monopole!
Grit Müller: Völlig richtig. Wir haben bei Tamoxifen heute einen Marktanteil von über 70 Prozent – versorgen die Patient:innen also größtenteils allein. Das ist ein Monopol wider Willen. Wir fänden es gut, wenn die Versorgung auf mehreren Schultern liegen würde, denn es gibt aktuell wohl kaum ein weiteres Unternehmen in Deutschland, welches im Falle eines Produktionsengpasses einspringen könnte.
Eine gefährliche Entwicklung. Wann haben Sie begonnen, auf maximale Effizienz zu setzen?
Grit Müller: Das kam mit der Einführung der Rabattverträge, die wir hier in Barleben 2011 oder 2012 zu spüren bekamen. Damals änderte sich die Grund-Prämisse der Generika-Versorgung. Diese hieß nicht länger „Versorgungssicherheit“, sondern fortan „Billigpreis“. Wenn ein Produkt „Hauptsache billig“ sein soll, muss man es anders herstellen, als wenn es „Hauptsache verfügbar“ sein soll. Die Konsequenz ist, dass wir einige unserer Wirkstoffe aus Kostengründen zwischenzeitlich in Asien kaufen müssen und sich auch dort monopolistische Strukturen gebildet haben. Das führt dazu, dass wir im Falle des Falles nicht agil sein können und Engpässe der Zulieferer direkt auf die Versorgung durchschlagen.
Die Produktionsschritte des einstigen Blockbusters: Für den den Blutdrucksenker “Metoprolol Succinat” ist Barleben nicht mehr Vorreiter.
Die Politik wirkte bei den jüngsten Engpässen sehr wach. Erhalten Sie die Rückendeckung, die Sie brauchen?
Aber der Bundesgesundheitsminister will mit dem Lieferengpass-Gesetz ALBVGG gerade Werke wie das Ihrige stärken. Es wird also besser?
Grit Müller: Bislang bedeutet das ALBVVG für uns nur eins: Schmerzen! Die Rabattverträge laufen weiter, die Preise sind also weiterhin niedrig. Gleichzeitig muss ich auf eigene Kosten die Produktion erhöhen. Um jetzt eine Ausschreibung gewinnen zu können, muss ich einen Vorrat von sechs Monaten angelegt haben. Das führt dazu, dass ich ein Arzneimittel schon produziere, bevor ich überhaupt weiß, ob ich die Ausschreibung gewinne. Verliere ich die Ausschreibung, muss ich es irgendwie weiterverkaufen oder für viel Geld entsorgen. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Produktionskapazitäten ohnehin eng sind (deswegen gibt es ja Engpässe!) und ich gar nicht weiß, wo ich die immensen Vorräte lagern soll. Kurzum: Das ALBVVG hat die Situation für uns verschärft, nicht erleichtert.
Derzeit wird viel über die Rückholung der Generika-Produktion nach Europa gesprochen. Ein realistisches Ziel?
Grit Müller: Eine Investition in europäische Werke kann nur sinnvoll sein, wenn es auch vernünftige Anreize gibt. Dazu mal folgende Geschichte: Der Sandoz-Konzern investiert in den Bau eines Biosimilar-Werkes. Wir hätten das hier in Barleben gern und gut gemacht. Platz genug haben wir hier. Den Zuschlag hat aber Slowenien bekommen.
Warum?
Grit Müller: Deutschland steht in einem starken Wettbewerb mit anderen attraktiven Volkswirtschaften und Slowenien bietet mit seiner sehr gut ausgebildeten Bevölkerung interessante Markt- und Investitionsbedingungen. Zudem ist Sandoz bereits seit vielen Jahre in Slowenien aktiv und wird als Unternehmen hoch angesehen. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit der slowenischen Politik und den Behörden oft unbürokratischer, Entscheidungen werden viel schneller getroffen. Während wir hier in Deutschland einen „Letter of Intent“ des Ministerpräsidenten bekamen, hat sich der slowenische Premierminister persönlich für den Bau des Biosimilar-Werkes eingesetzt.
Bundeskanzler und Ampel-Koalition feiern sich für die Pharmastrategie, die fast ausschließlich die forschende Pharmaindustrie stärkt. Was müsste die Poltitik tun, um Ihr Werk zu unterstützen?
Grit Müller: Er muss die Monopolisierung aufweichen. Es ist zu gefährlich, wenn die Versorgung von einem Unternehmen abhängt. Und die Bundesregierung muss die Ausschreibungskriterien überarbeiten. Der Preis darf nicht das einzige Zuschlagskriterium sein, europäische und diversifizierte Produktion muss sich lohnen. Ansonsten können wir irgendwann nicht mehr für den deutschen Markt produzieren.
Was ist der Denkfehler der Politik?
Grit Müller: Die Politik stärkt vermeintlich den „Pharmastandort“, aber sie tut dabei nichts für die Grundversorgung. Sie differenziert nicht zwischen den forschenden Arzneimittelherstellern und den Generika-Produzenten. Pharma ist eben nicht gleich Pharma. Generikaunternehmen stemmen 80 Prozent der Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland, und das für im Schnitt 6 Cent pro Tagesdosis. Gehen sie mal in einen Supermarkt und suchen sie ein Produkt, das 6 Cent kostet und den ganzen Tag vorhält. Ich sage: Sie werden keines finden. Der Politik muss endlich klar sein: Milliarden-Investitionen von forschenden Pharmaunternehmen sind toll für den Standort, aber sie werden die essenzielle Versorgung von Krebs‑, Schmerz oder Herz-Kreislauf-Patient:innen nicht gewährleisten.
Wir danken für das Gespräch!
Seit knapp 30 Jahren am Standort Barleben
Die Salutas Pharma GmbH in Barleben (Sachsen-Anhalt) zählt zu den modernsten, leistungsfähigsten Pharmaproduktions- und Logistikzentren Europas. Von rund 1.400 Mitarbeitern werden jährlich mehr als 11 Milliarden Tabletten produziert – darunter Wirkstoffe gegen Krebs, Diabetes und Bluthochdruck.
Mehr als die Hälfte der in Barleben hergestellten Medikamente kommt auf den deutschen Markt. Das Ergebnis zeigt sich in den Apotheken und im heimischen Tablettenschrank: Jede zehnte Packung aus dem Apothekenregal wurde in Barleben produziert, jede fünfte wurde hier umgeschlagen.
Der Vorteil einer heimischen Produktionsstätte zeigte sich im Jahr 2022. Damals drohte das alternativlose Brustkrebsmittel Tamoxifen knapp zu werden. Als einziger Hersteller konnte Sandoz eine Sonderproduktion einschieben – es war das Team in Barleben, das den Engpass abwendete und die Versorgung der Patient:innen sicherte.
Dazu sagt Andreas Burkhardt, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika: „Unsere Mitgliedsunternehmen haben ihre Kapazitäten bis zum technischen Limit erhöht und produzieren bei Vollauslastung. Ob die Medikamente für den Winter reichen werden, hängt im Wesentlichen von Faktoren wie der Infektionslage ab.“
Mit Blick auf die Maßnahmen, die das Gesundheitsministerium jetzt ergreifen will, sagt Burkhardt: „Als akute Symptombehandlung sind einzelne Schritte hilfreich. Am Grundproblem ändern sie nichts. Wenn die Politik nicht endlich die Strukturen ändert, sitzen wir nächstes Jahr wieder hier und überlegen, wie wir möglichst glimpflich durch den Winter kommen.“
„Um mehr produzieren zu können, müssten wir dringend in den Ausbau unserer Produktionskapazitäten investieren“, so Burkhardt weiter. „Das aber können wir derzeit nicht, denn es fehlt die ökonomische Grundlage. Das ALBVVG wird daran nichts ändern. Es schafft keine Anreize und berücksichtigt lediglich ein Prozent der Arzneimittel. Und das obwohl die Versorgung bei Krebs‑, Diabetes- und Schmerzmitteln nicht minder fragil ist und Engpässe jetzt schon absehbar sind.“
Für Burkhardt ist klar: Der Dialog mit der Politik muss weitergehen. „Treffen wie dieses machen nur Sinn, wenn sie ein Anfang sind. Es braucht einen konstruktiven Dialog, der zu langfristig wirkenden Maßnahmen führt.”
Wie in einer Prager Fabrik das Schmerzmittel Metamizol produziert wird
Engpässe bedrohen die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Viele Hersteller haben sich aus der Produktion zurückgezogen. In Prag steht eine der letzten europäischen Fabriken, in denen das Schmerzmittel Metamizol noch produziert wird. Ein Besuch im Werk des Generika-Herstellers Zentiva.
Sand. Sand könnte die Lösung für Haus Nummer 204 sein. Das Gebäude im Industriepark kurz vor Prag ist eines der wichtigsten im Werk von Zentiva. Ununterbrochen läuft die Produktion hier. Sie braucht Energie, rund um die Uhr – aber das ist gerade nicht ganz so einfach.
Damit Energie auch nachts nachhaltig geliefert werden kann, denkt man bei Zentiva zusammen mit Prager Universitäten über neue Energiespeichersysteme nach. „Sand aufzuheizen, ihn als Speichermedium zu nutzen, um dann die Energie abzugeben, könnte ein Mittel sein“, sagt Standortleiter Dr. André Ridder. Die Produktivität ließe sich auf diese Weise noch einmal steigern. Doch dafür braucht es noch Zeit, Forschung und vor allem: Planungssicherheit.
Mehr Leute müssen her
Solange sie das nicht haben, müssen Ridder und sein Team auf andere Weise ihren Output erhöhen. Derzeit arbeiten in Prag 850 Menschen. Bis Ende dieses Jahres sollen 50 hinzukommen. Pro Metamizol-Schicht sind dann 28 von ihnen im 24-Stunden-Betrieb im Einsatz – an sieben Tagen in der Woche. Eine der Aufgaben für Haus 204: Die Rohstoffe wiegen, aus denen das Arzneimittel besteht, das Millionen von Menschen in Deutschland dringend benötigen.
Am Fließband: Die Metamizol-Produktion am Zentiva-Standort Prag läuft auf Hochtouren.
Die Bänder laufen nonstop
Es ist hell in den Produktionsräumen, sonnendurchflutet. Wer hier arbeitet, trägt Mundschutz. Denn die kleinste Verunreinigung kann bedeuten, dass man gesamte Chargen wegwerfen muss. Ein bisschen sieht es hier aus wie in einem Labor. Ohne Unterlass laufen die Bänder. Maschinen rattern und es klackert leise, während Metamizol-Fläschchen als stetiger Strom über die Bänder rauschen.
Im Lager stapeln sich die versandfertigen Kartons. Dank der neuen Mitarbeitenden kann man hier bald noch mehr produzieren. Doch ob das reicht, um alle Patient:innen zu versorgen, kann niemand sagen. Die Gefahr von Engpässen schwebt auch über dem Werk in Prag – und ist eine Folge des Kostendrucks, unter dem viele Generika-Hersteller produzieren.
Schritt für Schritt zum Schmerzmittel: Zunächst werden die verschiedenen Ausgangsstoffe für Metamizol angerührt und homogenisiert.Die Suspension fließt anschließend für die weitere Verarbeitung in einen Edelstahltank.Eine Maschine füllt dann die Arznei unter Einhaltung strenger Hygienebedingungen ab.Anschließend erhält jedes Fläschchen Metamizol ein Etikett mit allen nötigen Herstellerangaben.Bereit für den Versand: Das fertige Produkt wird ins Lager transportiert – und von dort aus in alle Welt.
Reicht das Metamizol für alle?
Metamizol ist ein Schmerzmittel, das vor allem in Krankenhäusern zum Einsatz kommt. Krebspatient:innen erhalten es gegen Tumor-Schmerzen. Und zwei Drittel aller Patient:innen erhalten es nach einer Operation. Im Jahr 2022 wurden für GKV-Versicherte insgesamt 272 Millionen Tagesdosen verordnet – davon 82,6 Millionen in Form von Tropfen.
„Deutschland ist ein Generika-Markt“, sagt Josip Mestrovic, General Manager von Zentiva. „Acht von zehn Patient:innen bekommen eine generische Packung verordnet.“ Dabei entfielen gerade einmal 7,1 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben der Krankenkassen auf die Hersteller von Generika. „Da fehlt die Balance“, so Mestrovic. „Mit 7,1 Prozent der Kosten kann man nicht 80 Prozent der Bevölkerung mit Medikamenten versorgen.“
Mestrovic wundert es nicht, dass in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen aus dem Markt ausgestiegen sind und es immer wieder zu Versorgungsengpässen bei Medikamenten kommt. Zwar betont er, dass man insbesondere die Produktion von lebensrettenden Medikamenten aus ethischer Verantwortung heraus schwerlich einstellen könne. Gleichzeitig macht er klar, dass man in vielen Bereichen schlicht nicht mehr kostendeckend produzieren könne. „Wir wollen die Menschen mit Arzneimitteln versorgen und sind dabei doch auch ein Wirtschaftsunternehmen“, sagt Mestrovic.
Im Kampf für die Arzneimittelversorgung: General Manager Josip Mestrovic im Zentiva-Lager in Prag.
Wegen der geringen Erstattungspreise kauft Zentiva den Wirkstoff für Metamizol längst in China ein. Dass man weiterhin die Lagerhallen mit Medikamenten bis unters Dach bestückt hat, erklärt sich auch durch die Quasi-Monopolstellung des Unternehmens. Bei Metamizol hat Zentiva in Deutschland einen Marktanteil von rund 75 Prozent. Außer ihnen gibt es bloß noch einen weiteren Produzenten, der in nennenswertem Umfang das Schmerzmittel produziert. Die anderen Anbieter haben nur winzige Marktanteile. „Für die meisten Hersteller lohnt sich die Produktion von Metamizol schlicht und ergreifend nicht mehr“, weiß Mestrovic.
Die Preise sind schlicht zu niedrig
Die Gründe dafür kennt Ulrike Holzgrabe gut. Die Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie an der Uni Würzburg erklärt: „Wir haben 2009 ein Arzneimittelgesetz bekommen, in dem Festbeträge für die Kosten eines Generikums festgelegt worden sind. Diese Beträge sind seitdem nicht erhöht worden, obwohl die Produktionskosten immer mehr gestiegen sind.“
In der Praxis sieht das dann so aus: Das Prager Werk von Zentiva produziert rund fünf Millionen Flaschen an flüssigem Metamizol zu je 1,27 Euro pro 20-Milliliter-Flasche. So hoch ist der Festbetrag – also das, was die Krankenkassen dem Hersteller für sein Arzneimittel erstatten. Von diesem Betrag gehen allerdings noch Rabatte ab, die die Hersteller den Krankenkassen gewähren. So schreibt etwa die AOK als die größte Krankenkasse Deutschlands den Bedarf für den ambulanten Markt exklusiv aus. Das heißt: Sie beauftragt allein das Unternehmen mit der Produktion von Metamizol, das ihr den höchsten Rabatt anbietet.
Was, wenn man die Ausschreibung nicht gewinnt?
Ob Zentiva den nächsten Rabattvertrag ab Februar 2024 mit zwei Millionen Flaschen gewinnen wird, weiß derzeit niemand. Und auch nicht, was man dort im Zweifel mit den Flaschen macht, die bis dahin möglicherweise umsonst produziert wurden. So viel aber weiß man: Investiert werden kann erst einmal gar nichts. Weder in Sand noch in neue Abfülleinheiten, die den Output noch einmal erhöhen könnten. Dazu ist der Planungshorizont durch die Rabattverträge viel zu kurz.
Als Zentiva das Arzneimittel 2005 in Deutschland einführte, sahen die Rahmenbedingungen noch anders aus. Es gab noch keine Rabattverträge, nicht diesen Preisdruck, von Krieg in Europa, Inflation und Energiekrise ganz zu schweigen. „Man muss sich nur mal vorstellen, was wäre, wenn es dieses Schmerzmittel nicht mehr gäbe“, sagt Mestrovic. Die Folgen für die medizinische Versorgung wären katastrophal. „Man kann bei Medikamenten nicht, wie etwa in der Bau- oder Autoindustrie, sagen: Dann kommt es halt später“, sagt Mestrovic. Die Betroffenen brauchen das Medikament – wer möchte ihnen erklären, dass es gerade Lieferschwierigkeiten gibt?
Ohne Unterlass klackern die Flaschen, die über die Bänder rauschen
Die Abhängigkeit ist riesig
Ein Problem sind auch die Lieferketten. Verschiedene Roh- und Verpackungsmaterialien wie beispielsweise Aluminiumfolie werden knapper.
Die Gründe dafür kennt Wissenschaftlerin Ulrike Holzgrabe: „Wir haben nicht nur das Problem, dass wir Zwischenprodukte und Reagenzien in China kaufen müssen. Wir haben eine ganze Menge an chemischer Industrie in Deutschland verloren. Die Halogenchemie beispielsweise, die sich damit beschäftigt, wie man ein Fluor- oder Chlor-Element an ein Molekül bekommt, machen wir hierzulande nicht mehr, weil es die Umwelt belastet“, sagt Holzgrabe. Die Produktion anderer Substanzen sei eingestellt worden, weil es schlicht zu teuer sei. Das lasse sich vielleicht wirtschaftlich nachvollziehen, aber damit begebe man sich in eine gefährliche Abhängigkeit. Die Folgen, wenn es kurzfristig aufgrund eines politischen Konfliktes zu einem Lieferstopp käme, wären für das deutsche Gesundheitssystem verheerend.
Produktion in Europa statt in Asien: der Zentiva-Standort Prag.
Nur eine Option: weitermachen
Wie fragil das System ist, sah man bereits in den vergangenen Monaten, als zuerst Fiebersäfte für Kinder und später Antibiotika knapp wurden. Zwar nahm sich die Politik des Problems an und verabschiedete das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Doch leider wurden nur partiell Lösungen erarbeitet und Patient:innen, die für ihre Therapie Schmerzmittel – häufig Generika wie Metamizol – benötigen, profitieren überhaupt nicht von dem Gesetz.
Anstatt sich zu freuen, beobachtet Zentiva-Chef Josip Mestrovic seine steigenden Marktanteile mit großer Sorge. „Das ist kein gutes Zeichen für Deutschland“, sagt er. Denn die letzten verbliebenen Unternehmen könnten nicht die gesamtdeutsche Bevölkerung mit Arzneimitteln versorgen – egal wie viele neue Mitarbeiter gefunden werden, egal in wie viel neue Technologie trotz der unsicheren Lage investiert werden kann, und egal ob Sand in naher Zukunft Energie speichern kann oder nicht.
Im Haus Nummer 204 stellt Mestrovic eine Frage, die er zugleich selbst – mit ruhiger, aber warnender Stimme – beantwortet. „Können wir Arzneimittelsicherheit in den nächsten fünf Jahren gewährleisten? Wir tun alles dafür, aber ich würde meine Hand – Stand heute – dafür nicht ins Feuer legen.“
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Wie ein Frühwarnsystem Engpässe nicht nur erkennen – sondern ihnen auch vorbeugen kann
Für Generika gibt es viele Preisbremsen. Für einige sogar mehrere auf einmal.
Mehr als jedes zweite Generikum ist sowohl unter Festbetrag also auch unter Rabattvertrag
Für jedes zweite Generikum gelten mindestens zwei Preisbremsen
Rabattverträge, Festbeträge, Preismoratorium: Unser Gesundheitssystem hält diverse Instrumente bereit, die Generika-Preise im Keller halten und eine Anhebung unmöglich machen. Viele davon überschneiden sich. So gelten für 51,7 Prozent der Generika*, deren Preis durch einen Festbetrag bereits fixiert ist, zusätzlich Rabattverträge.
Dichtes Netz aus Preissenkungs-Instrumenten
Hauptsache billig – so lautet die gesundheitspolitische Vorgabe seit Jahren, wenn es um die Versorgung mit Generika geht. Diese machen knapp 80 Prozent der Arzneimittel aus, veranschlagen aber bloß sieben Prozent der Summe, die die Krankenkassen an pharmazeutische Unternehmen abgeben.
Um die Preise niedrig zu halten, gibt es u.a. diese gesundheitspolitischen Instrumente:
Festbetrag: Das ist der Höchstpreis, den die Krankenkassen für ein bestimmtes Arzneimittel erstatten. Erhöhen die Hersteller die Preise über den Festbetrag, müssen die Patient:innen die Differenz bezahlen.
Rabattvertrag: Ihn schließen die Krankenkassen oft mit bloß ein bis drei Herstellern ab. Dabei erhalten der oder die Anbieter den Zuschlag, die den günstigsten Preis bieten. Die Höhe dieser Rabatte ist geheim. Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, aber gab sie in einem Interview mit der FAZ zuletzt mit 90 Prozent an. Rabattverträge laufen über zwei Jahre. Setzt ein Hersteller während dieser Zeitspanne seinen Preis hoch, muss er die Differenz an die Krankenkassen abführen.
Preismoratorium: Es friert den Preis derjenigen Generika, die nicht von einem Festbetrag erfasst sind, auf dem Niveau von 2009 ein. Das Preismoratorium gilt für alle Arzneimittel, die keinen Festbetrag (mehr) haben.
Politik muss alle Instrumente im Blick haben – sonst verpuffen Effekte
Der Kostendruck auf Generika hat die Versorgung destabilisiert. Das hat die Politik jetzt verstanden – und will im ALBVVG Festbeträge für bestimmte engpassgefährdete Arzneimittel erhöhen. Diese Erhöhung aber kommt bei den Herstellern nicht an – da Rabattverträge etwa weiter existieren bzw. das Preismoratorium automatisch greift.
Dazu sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika: „Will die Politik Anreize setzen, engpassgefährdete Arzneimittel zu produzieren, reicht es nicht, ein einziges Preissenkungs-Instrument auszusetzen – es müssen alle sein. Ansonsten verpuffen Maßnahmen, die eigentlich gut gemeint sind und der Kostendruck bleibt, wie er ist. Am Problem der Engpässe kann sich dann aber auch nichts ändern.“
Alle Preissenkungs-Instrumente auf einen Blick haben wir hier ausführlich erklärt.
* Basis ABDATA Stand 15.03.2023, ohne Altoriginale
Mit dem Gesetz ALBVVG will das Gesundheitsministerium die Versorgung mit Krebs-Medikamenten verbessern.
Lieferengpässe bei Tamoxifen wird es aber nicht verhindern.
Ein Jahr ist es her, dass das Brustkrebsmittel Tamoxifen in Deutschland knapp wurde. Nun hat das Gesundheitsministerium ein Gesetz vorgelegt, das Lieferengpässe bekämpfen soll. Doch diesen Anspruch erfüllt es nicht. Für die Versorgung der Tamoxifen-Patient:innen ist der Effekt des Gesetzes gleich Null.
IM GESETZ STEHT: Es gibt Maßnahmen, die ausdrücklich Onkologika wie Tamoxifen in den Blick nehmen. Damit Lieferketten diversifizierter werden, soll fortan in den Ausschreibungen immer auch ein europäischer Hersteller zum Zuge kommen.
FÜR DIE VERSORUNG BEDEUTET DAS: Nichts. Die verbliebenen Tamoxifen-Hersteller wie auch die Zulieferer stammen bereits überwiegend aus Europa.
IM GESETZ STEHT: Preise für versorgungskritische Arzneimittel wie Tamoxifen sollen um 50 % erhöht werden können – sofern es eine Empfehlung des BfArM ans Gesundheitsministerium und eine Abstimmung mit dem GKV-Spitzenverband gibt.
FÜR DIE VERSORGUNG BEDEUTET DAS: Nichts. Denn diese Preiserhöhungen kommen bei Tamoxifen-Herstellern überhaupt nicht an. In den unverändert gültigen Rabattverträgen, die die Hersteller mit den Krankenkassen abgeschlossen haben, ist nämlich festgelegt, dass die Differenz zwischen altem und neuem Preis direkt an die Krankenkassen abzuführen ist. Anders als bei den Kinderarzneimitteln sieht der Gesetzentwurf zudem auch keine komplette Aufhebung der Festbeträge vor.
Keine Entlastung für Tamoxifen-Hersteller
Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, fordert eine Anpassung des Gesetzesentwurfs: „Will das Gesetz die Hersteller entlasten, muss es konsequent vorgehen. Preiserhöhungen bringen nichts, wenn das Geld bei den Kassen und nicht bei den Herstellern landet. Die Produktion von Arzneimitteln muss wieder wirtschaftlich werden, sonst können Hersteller nicht in den Ausbau ihrer Produktion investieren.“
Die letzten zwei Hersteller produzieren für 8 Cent pro Pille
Im Februar 2022 war es zum Beinahe-Versorgungsengpass bei Tamoxifen gekommen. Damals waren fünf Hersteller auf dem Markt gewesen. Jetzt sind es nur noch zwei – alle anderen haben die Produktion eingestellt. Hexal hat inzwischen einen Marktanteil von 80 Prozent und produziert – daran hat sich nichts geändert – für gut 8 Cent pro Tablette.
Dazu sagt Thomas Weigold, Geschäftsführer von Hexal: „Wir haben im Jahr 2022 eine zusätzliche Sonderproduktion von Tamoxifen eingeleitet, um außerordentlich 20 Millionen Tagesdosen Tamoxifen zu produzieren. Wir sehen uns in der Verantwortung, das für die Gesellschaft zu tun. Aber vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt ausgesehen, können wir solche außergewöhnlichen Produktionen bei den jetzigen Preisen langfristig nicht gewährleisten.“
Drei Monate lang dürfen Fiebersaft & Co. teurer werden. So hat es der GKV-Spitzenverband verfügt um das
Engpass-Problem zu bekämpfen. Aber wo sollen diese Arzneimittel herkommen?
Auf Drängen des Bundesgesundheitsministeriums hat der GKV-Spitzenverband kurzfristig beschlossen, Festbeträge für einige Kinderarzneimittel (insgesamt 180 Generika) für drei Monate auszusetzen. So sollen Fiebersaft & Co. schnell wieder auf den Markt gelangen. Die Frage ist jetzt: Wo sollen diese Medikamente herkommen?
Die letzten verbliebenen Hersteller etwa für Fiebersaft produzieren bereits rund um die Uhr. Trotzdem kommen sie angesichts der massiv erhöhten Nachfrage und stetig abreißender Lieferketten nicht hinterher.
Auch wenn sich die Preise für drei Monate erhöhen: Es gibt derzeit schlicht keine Ware, die kurzfristig auf den Markt gebracht werden könnte.
Was es zur Lösung des Problems braucht, sind langfristige Anreize, damit sich wieder mehr Unternehmen an der Produktion von Kinderarzneimitteln und anderen Medikamenten beteiligen.
Es gibt einfach zu wenige Hersteller für Kinderarzneimittel
„Eine Aussetzung der Festbeträge für Kinderarzneimittel, wie sie der GKV-Spitzenverband verfügt hat, ist eine Geste – aber sie wird das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. „Denn: Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?“
Bretthauer: „Kurzfristige Maßnahmen lösen keine strukturellen Probleme: Kein Unternehmen kann Produktionsstätten ausbauen, wenn nach drei Monaten wieder das „Hauptsache billig“-Prinzip gilt. Hersteller werden sich erst wieder an der Produktion von Kinderarzneimitteln beteiligen, wenn sie auch perspektivisch mit auskömmlichen Preisen rechnen können.“
Kostensparinstrumente dürfen Preiserhöhungen nicht abschmelzen
Hinzu kommt: Preiserhöhungen stellen nur Anreize dar, wenn sie auch bei den Unternehmen ankommen. Und das tun sie nur, wenn auch andere, rein auf Kostensenkung abzielende Regelungen wie Rabattverträge, Generikarabatte oder 4‑G-Regel, ausgesetzt werden.
Mit Blick auf das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Gesetz, das die Engpässe bekämpfen soll, sagt Bretthauer: „Die Intention des Gesetzes ist richtig. Die Politik hat verstanden, dass der jahrelange Kostendruck die Engpässe herbeigeführt hat. Jetzt aber kommt es auf die richtige Lösung an – und die darf nicht aus gut gemeinten, aber unwirksamen Adhoc-Maßnahmen bestehen.“
Vor kurzem bangten Patient:innen um Tamoxifen. Ursache für den Engpass war unter anderem, dass nur noch
wenige Hersteller das Brustkrebsmittel produzierten. Jetzt sind es noch weniger geworden: Nur noch zwei Unternehmen produzieren
Anfang des Jahres bangten Brustkrebspatient:innen um Tamoxifen – ein alternativloses Mittel, das seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Ursache für den Engpass war unter anderem, dass nur noch wenige Hersteller das Arzneimittel produzierten. Jetzt sind es noch weniger: Bloß noch zwei Hersteller versorgen die Patient:innen in Deutschland mit Tamoxifen.
Der Grund, dass sich so viele Hersteller aus der Produktion zurückgezogen haben, ist der unverändert niedrige Erstattungspreis.
Seit zwölf Jahren gilt beinahe derselbe Festbetrag, Hersteller erhalten für die Dreimonatspackung Tamoxifen nur gut 8,80 Euro von den Krankenkassen.
Seit dem Frühling haben weitere Hersteller die Produktion eingestellt. Eines davon trägt die Hauptlast – es hat einen Marktanteil von vier Fünfteln.
Engpass bei Tamoxifen war Folge einer dramatischen Marktkonzentration
Zum Engpass bei Tamoxifen kam es, weil einige Zulieferer ihre Preise so weit erhöht hatten, dass die Generikaunternehmen nicht mehr zum Erstattungspreis hätten produzieren können und sich deshalb neue Zulieferer suchen mussten. Die Hersteller, die das betraf, konnten vorübergehend nicht mehr liefern. Die anderen wurden sofort leergekauft. Das BMG erlaubte die Einfuhr von Tamoxifen-Tabletten, ein Unternehmen schob eine Sonderproduktion ein. Das rettete Deutschland vor dem Versorgungsengpass – doch an den Strukturen ändert es nichts.
Versorgung wurde gesichert – die Strukturen sind die gleichen
Im Gegenteil: Derzeit sind noch weniger Hersteller am Markt als vor der Knappheit im Frühling. Von ehemals vier sind bloß noch zwei übrig. Und davon stemmt eins mehr als vier Fünftel der Versorgung.
Politik muss Wirkstoffe wie Tamoxifen retten
„Der Engpass beim Brustkrebsmittel Tamoxifen konnte abgewendet werden, aber das Problem hat sich nicht gelöst. Im Gegenteil: Die Situation am Markt ist noch verschärfter. Es gibt noch weniger Unternehmen als vorher, die die Versorgung sichern. Wenn die Politik jetzt mit dem Generika-Gesetz die Arzneimittelversorgung stärken will, muss sie zuerst bei versorgungskritischen Wirkstoffen wie Tamoxifen ansetzen. Hier braucht es dringend Anreize, damit sich wieder mehr Unternehmen an der Versorgung beteiligen – sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Engpass eintritt.“
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