Die Bundesregierung will der Arzneimittel-Knappheit begegnen: mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (#ALBVVG).
Doch wird dieses Gesetz den Mangel an wichtigen Medikamenten auch tatsächlich beenden? Wir haben die gefragt, die es wissen müssen: die Generika-Hersteller.
„Die Fiebersaft-Produktion ist kostendeckend – mehr nicht“
Der Kampf dauerte den ganzen Herbst und Winter. Wegen einer massiven Erkältungswelle unter Kindern stieg die Nachfrage nach Fiebersaft stark an. Der Hersteller Teva reagierte: Er erweiterte die Produktion, stellte neues Personal ein, versuchte, Papier‑, Glas- und Verschluss-Engpässe zu überbrücken – und kam doch nicht hinterher. Denn alle anderen Hersteller hatten sich in den Jahren zuvor aus dem Markt zurückgezogen – weil bei einem Preis von 1,36 Euro für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft eine wirtschaftliche Produktion kaum mehr zu machen war.
„Dass Kinder nicht versorgt werden können, möchte ich nicht noch einmal erleben“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Pressekonferenz zum Kabinettsentwurf im April 2023. Das sei kein ehrbarer Zustand. Sein Motto laute deshalb jetzt: „Kinder zuerst“. Und so legte er im ALBVVG fest, dass Kinderarzneimittel um 50 Prozent teurer werden dürfen. Gleichzeitig verhängte er für diese ein Verbot von Rabattverträgen.
„Die Herstellung von Tamoxifen ist ein Verlustgeschäft – also lasse ich es“
Ein Schock war es für Patient:innen und Ärzt:innen, als zu Beginn des Jahres das Brustkrebsmittel Tamoxifen knapp zu werden drohte: ein Medikament, das Menschen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs zehn Jahre lang nach der Erstdiagnose nehmen, damit die Krankheit nicht zurückkommt. Die Knappheit war eine Folge der Entwicklung der vergangenen Jahre. Nachdem Zulieferer ihre Preise erhöht hatten, stiegen Hersteller wie das Berliner Unternehmen Aristo Pharma aus der Produktion aus. Derzeit sichern nur zwei Unternehmen die Versorgung mit Tamoxifen in Deutschland – für 8,80 Euro pro Dreimonatspackung.
An all dem sollte das ALBVVG ursprünglich etwas ändern. Der Referentenentwurf sah noch vor, die Ausschreibungsbedingungen für Krebsmedikamente (Onkologika) zu modifizieren und so neue Anreize für Unternehmen zu schaffen, die Produktion wieder aufzunehmen. Doch der Passus wurde gestrichen. An den Rahmenbedingungen für die Tamoxifen-Produktion ändert sich daher nichts.
„Preiserhöhungen bringen nichts, solange Rabattverträge gelten“
Das Generika-Geschäft ist ein Cent-Geschäft. Gerade mal sechs Cent erhalten die Hersteller für ein durchschnittliches Generikum. Ein Grund: Rabattverträge, in denen die Hersteller den Krankenkassen – so sagte es Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, im FAZ-Interview – rund 90 Prozent Preisabschläge bieten müssen.
„Wir haben es bei Arzneimitteln mit der Ökonomisierung übertrieben“, sagte Lauterbach Ende 2022. „Versorgung muss uns wieder mehr wert sein.” Deshalb legt das ALBVVG fest: Die Festbeträge der Arzneimittel, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als versorgungsessenzielle Arzneimittel definiert wurden, dürfen für zwei Jahre um bis zu 50 Prozent steigen. Bloß: Das Gesetz hebt die Rabattverträge auf. Und diese sehen vor, dass jede Preiserhöhung an die Krankenkasse abzuführen ist.
„Wir sind abhängig von Asien — nicht nur bei Antibiotika“
Kinderarzneimittel werden teurer, bei Antibiotika-Ausschreibungen müssen Lieferketten diversifiziert werden. Doch bei 99 Prozent aller Arzneimittel bleibt die Lage unverändert – und teils dramatisch. Bei wichtigen Blutdrucksenkern, Schmerzmitteln oder Diabetesmedikamenten steigen massenhaft Hersteller aus der Produktion aus. Es herrscht Abhängigkeit von Asien. Auch hier schwächt der niedrige Preis die Lieferketten und damit die Versorgungssicherheit.
6 Monate Lagerhaltung — darum wird es die Lage verschlimmern!
Es gibt zu wenig Produktionskapazitäten
Das ALBVVG verpflichtet Generika-Unternehmen, Arzneimittelvorräte von sechs Monaten auf Lager zu haben, sofern sie einen Rabattvertrag mit einer Krankenkasse eingehen. Dabei gab es für viele Arzneimittel kaum noch Produktionskapazitäten — ein Grund für die Engpässe. Wie die Kapazitäten ohne Anreize aufgestockt werden sollen, ist unklar.
Der Kostendruck auf die Hersteller steigt
Seit Jahren kämpfen Generika-Hersteller mit steigenden Kosten und haben keine Möglichkeit, ihre Preise zu erhöhen. Jetzt erhöht die Auflage zur Lagerhaltung die Kosten weiter. Denn: Mehr Produktion und mehr Lager kosten auch mehr Geld.
Weitere Rückzüge werden folgen
Zuletzt hatte sich mehr und Hersteller aus der Produktion zurückgezogen. Das ALBVVG wollte Anreize setzen, damit sie zurückkehren. Stattdessen hat es den Druck erhöht. Weitere Rückzüge und mithin noch mehr LIeferengpässe werden die Folge sein.
„Die Versorgungslage bleibt so, wie sie ist: labil und teilweise sogar prekär“
Die jüngsten Engpässe sind entstanden, weil immer weniger Hersteller Generika kostendeckend produzieren können. Das Gesetz hätte Anreize schaffen müssen, damit Unternehmen wieder in die Versorgung einsteigen. Diese Chance aber nutzt es nicht. Wenn Unternehmen mit der Herstellung von Arzneimitteln weiterhin rote Zahlen schreiben — und das werden aufgrund der Verpflichtung zur Lagerhaltung noch mehr werden — werden sie sich aus der Versorgung zurückziehen müssen. Engpässe werden die Folge sein.