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Sind unse­re Anti­bio­ti­ka bald wie­der made in Euro­pe, Herr Haller?

Das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um will die Anti­bio­ti­ka­pro­duk­ti­on in Euro­pa ver­stär­ken. Das ALBVVG zielt dar­auf ab, Lie­fer­eng­päs­se bei patent­frei­en Arz­nei­mit­teln zu bekämp­fen und die Ver­sor­gung mit Kin­der­arz­nei­mit­teln zu ver­bes­sern. So soll bei Aus­schrei­bun­gen immer ein

euro­päi­scher Wirk­stoff­her­stel­ler berück­sich­tigt wer­den. Wir haben Pierre Hal­ler, Gene­ral Mana­ger des deut­schen Stand­orts von EURO­A­PI in Frank­furt-Höchst, gefragt, ob die­ses Gesetz ihm bald vol­le Auf­trags­bü­cher brin­gen wird.

Herr Hal­ler, was bedeu­tet das ALBVVG für Sie?

Wir sehen es als sehr posi­tiv, dass sich das ALBVVG mit der Fra­ge der Wirk­stoff­pro­duk­ti­on in Euro­pa und deren hoher Bedeu­tung für die Ver­sor­gungs­si­cher­heit mit Arz­nei­mit­teln in Deutsch­land aus­ein­an­der­setzt. Posi­tiv ist auch die Ein­füh­rung eines zwei­ten Loses im Rah­men der Aus­schrei­bun­gen für Arz­nei­mit­tel, deren Wirk­stoff in Euro­pa her­ge­stellt wurde. 

Die­se ers­ten Schrit­te im ALBVVG sind abso­lut not­wen­dig, rei­chen aber nicht aus, um die der­zei­ti­ge Situa­ti­on nach­hal­tig zu ver­än­dern. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Beschrän­kung auf Antibiotika.

Für Anti­bio­ti­ka soll jetzt pro Aus­schrei­bung jeweils ein euro­päi­scher Her­stel­ler zum Zuge kom­men. Pro­du­zie­ren Sie fort­an mehr Antibiotika-Wirkstoffe?

Wir haben die Exper­ti­se und die Kapa­zi­tät dazu – das ist Teil unse­rer EURO­A­PI-DNA. Tat­säch­lich gibt es gro­ße Chan­cen für mehr Anti­bio­ti­ka­pro­duk­ti­on in Euro­pa. Um die­ses Momen­tum zu nut­zen, brau­chen wir aber das Com­mit­ment und die Unter­stüt­zung der deut­schen Regie­rung sowie die Zusam­men­ar­beit auf EU-Ebene. 

Der­zeit gibt es in Deutsch­land kei­nen ein­zi­gen Her­stel­ler von Anti­bio­ti­ka-Wirk­stof­fen. Anti­bio­ti­ka wer­den zum einen durch Fer­men­ta­ti­on, zum ande­ren durch che­mi­sche Syn­the­se her­ge­stellt. Bei EURO­A­PI haben wir zwei euro­päi­sche Stand­or­te, die wich­ti­ge Anti­bio­ti­ka-Wirk­stof­fe pro­du­zie­ren. Die­se Stand­or­te sind auf Fer­men­ta­ti­on spe­zia­li­siert und befin­den sich in Frank­reich und in Ita­li­en.

Mit der Exper­ti­se und den Kapa­zi­tä­ten für die che­mi­sche Syn­the­se, die wir in Frank­furt haben, ver­fü­gen wir über alle Mög­lich­kei­ten in die­sem the­ra­peu­ti­schen Bereich. Im All­ge­mei­nen dau­ert die Wie­der­auf­nah­me der Wirk­stoff­pro­duk­ti­on drei bis fünf Jah­re und ist in der Regel mit hohen Inves­ti­tio­nen zwi­schen 50 und 180 Mil­lio­nen Euro pro Infra­struk­tur verbunden. 

Unter den gege­be­nen Umstän­den, ein­schließ­lich des ALBVVG auf dem der­zei­ti­gen Stand, sind sol­che Inves­ti­tio­nen betriebs­wirt­schaft­lich nicht mach­bar.

Pierre Hal­ler, Gene­ral Mana­ger EURO­A­PI in Frankfurt-Höchst

“Tat­säch­lich gibt es gro­ße Chan­cen für mehr Anti­bio­ti­ka­pro­duk­ti­on in Euro­pa. Um die­ses Momen­tum zu nut­zen, brau­chen wir aber das Com­mit­ment und die Unter­stüt­zung der deut­schen Regie­rung sowie die Zusam­men­ar­beit auf EU-Ebene.”

“Der­zeit gibt es in Deutsch­land kei­nen ein­zi­gen Her­stel­ler von Antibiotika-Wirkstoffen.”

Haben euro­päi­sche Wirk­stoff­her­stel­ler am Welt­markt dann über­haupt eine Chance?

Bei EURO­A­PI haben wir rund 200 Wirk­stof­fe im Port­fo­lio. Wir bie­ten Lie­fer­ver­läss­lich­keit und Qua­li­tät, unse­re Umwelt­stan­dards ent­spre­chen den hohen euro­päi­schen Anfor­de­run­gen. Gleich­zei­tig liegt es auf der Hand, dass die höhe­ren Ener­gie­prei­se in Deutsch­land zusam­men mit den Kos­ten für die hohen Umwelt- und Sicher­heits­an­for­de­run­gen zu höhe­ren Prei­sen im Ver­gleich zu den sub­ven­tio­nier­ten Nied­rig­prei­sen der asia­ti­schen Kon­kur­ren­ten führen. 

Für einen fai­ren Wett­be­werb auf dem Welt­markt wäre es not­wen­dig, glei­che Spiel­re­geln für alle zu schaf­fen. Etwa die Har­mo­ni­sie­rung der Umwelt­vor­schrif­ten, die der­zeit von den euro­päi­schen Akteu­ren für impor­tier­te Pro­duk­te ange­wandt wer­den, was zum Bei­spiel auch Dekar­bo­ni­sie­rungs-Zie­le beinhal­tet. Das ist eine sozia­le und öko­lo­gi­sche Ent­schei­dung.

Ver­liert der Gesetz­ge­ber dadurch, dass er Diver­si­fi­zie­rung zunächst nur für Anti­bio­ti­ka vor­schreibt, wert­vol­le Zeit – oder wie wahr­schein­lich ist es, dass in den nächs­ten Jah­ren wei­te­re Wirk­stoff­pro­duk­ti­on abwandert?

Die Beschrän­kung auf Anti­bio­ti­ka trägt in kei­ner Wei­se der der­zeit schwie­ri­gen Situa­ti­on bei der Her­stel­lung klas­si­scher che­mi­scher Wirk­stof­fe Rech­nung. Es gibt eine Rei­he von Wirk­stof­fen, die für die Ver­sor­gung von Pati­en­ten in Deutsch­land essen­zi­ell sind, und deren Pro­duk­ti­on unter erheb­li­chem wirt­schaft­li­chem Druck steht. Die Abhän­gig­keit von Asi­en wird hier immer deutlicher.

Haben Sie ein Beispiel?

In Kran­ken­häu­sern ist zur Behand­lung von Schmer­zen ein Mit­tel essen­zi­ell: Met­ami­zol. Des­sen Wirk­stoff (auch Nova­m­in­sul­fon genannt) stel­len wir bei EURO­A­PI seit 100 Jah­ren in Frank­furt-Höchst her. Damit sind wir der letz­te ver­blie­be­ne west­li­che Her­stel­ler und hal­ten weni­ger als 20 Pro­zent des Weltmarktes. 

Die rest­li­chen 80 Pro­zent stel­len chi­ne­si­sche Her­stel­ler bereit, die somit den Welt­markt beherr­schen. Im Ver­gleich zu 2021 sind die Her­stel­lungs­kos­ten für Met­ami­zol in Deutsch­land zuletzt dras­tisch gestie­gen, was haupt­säch­lich auf die Roh­stoff- und Ener­gie­prei­se zurück­zu­füh­ren ist. 

Die­se Preis­stei­ge­run­gen sowie die Kos­ten für die Erfül­lung der Umwelt- und Sicher­heits­an­for­de­run­gen in Deutsch­land haben dazu geführt, dass eine wirt­schaft­lich nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­on von Met­ami­zol in Deutsch­land, die der Kon­kur­renz aus Chi­na stand­hal­ten kann, infra­ge gestellt ist. Wir kon­kur­rie­ren ein­fach nicht auf der glei­chen Grundlage.

Wie kann die Poli­tik ver­hin­dern, dass auch die letz­te Her­stel­lungs­stät­te für Met­ami­zol in Euro­pa die Pro­duk­ti­on einstellt?

Das ALBVVG muss Diver­si­fi­zie­rung für wei­te­re essen­zi­el­le Wirk­stof­fe und Indi­ka­tio­nen ver­fü­gen. Außer­dem benö­ti­gen wir Anrei­ze für eine nach­hal­ti­ge euro­päi­sche Wirk­stoff­pro­duk­ti­on, d.h. die Ein­füh­rung von finan­zi­el­len, poli­ti­schen und admi­nis­tra­ti­ven Mecha­nis­men, um die Pro­duk­ti­on in Euro­pa zu hal­ten und die Ver­la­ge­rung der gesam­ten Wert­schöp­fungs­ket­te voranzutreiben. 

Wie bereits erwähnt unter­stüt­zen wir eine Har­mo­ni­sie­rung der der­zeit von den euro­päi­schen Akteu­ren ange­wand­ten Umwelt­vor­schrif­ten für impor­tier­te Pro­duk­te, auch im Hin­blick auf Dekarbonisierungs-Ziele. 

Finan­zi­el­le Anrei­ze und Beloh­nung von Inves­ti­tio­nen in umwelt­freund­li­che­re Pro­duk­ti­ons­tech­no­lo­gien sowie die Ein­füh­rung beschleu­nig­ter Zulas­sungs­ver­fah­ren für nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­ons­tech­no­lo­gien wären wei­te­re Maß­nah­men, auch um den Wan­del zu einer grü­ne­ren und nach­hal­ti­ge­ren Indus­trie zu beschleu­ni­gen. Ansons­ten lau­fen wir Gefahr, dass Asi­en sei­ne Domi­nanz bei der Her­stel­lung von Wirk­stof­fen wei­ter aus­bau­en kann.