Wie die Bundesregierung den Pharmastandort Deutschland stärken will — und die Generika-Industrie dabei zu vergessen droht
Mehr Generika-Produktion in Europa: Das ist erklärtes Ziel der Gesundheitspolitik. Grit Müller ist Chefin des größten Generika-Werkes in Deutschland. Ein Gespräch über technologischen Vorsprung, die asiatische Konkurrenz und darüber, wie unsere Nachbarländer Produktionsstätten pushen – während Deutschland bei der Rettung der Grundversorgung zu schlafen scheint.
Darum geht’s!
Derzeit kann sich ein deutsches Generika-Werk wie die Salutas Pharma in Barleben noch gegen die asiatische Konkurrenz behaupten. Was fehlt, ist die Rückendeckung der Politik.
Deutsche Generika-Werke ächzen unter regulatorischen Auflagen und Bürokratie. Dabei müssen sie in einem Wettbewerb bestehen, in dem es einzig um den günstigsten Preis geht.
Europäische Länder wie Österreich oder Slowenien schaffen deshalb Anreize für mehr heimische Produktion — Deutschland bislang nicht.
Die Abhängigkeit von Asien ist ein großes Thema. Wie kann sich ein deutsches Werk wie das Ihrige im preisgetriebenen Generika-Wettbewerb behaupten?
Grit Müller: Wir sind stark in der Technologisierung. Gegenüber vielen ausländischen Werken haben wir 15 Jahre Vorsprung, was das Effizienz- und Automatisierungs-Know-how angeht. Sandoz hat bereits vor Jahren visionär in Hightech investiert und davon zehren wir bis heute. Wir können hier enorme Mengen produzieren. Das macht uns konkurrenzfähig. Hier müssen wir weiter wettbewerbsfähig bleiben, um unsere Führung zu behaupten.
Woran merken Sie das?
Grit Müller: An den Auftragsbüchern. Beim Blutdrucksenker „Metoprolol Succinat“ war Barleben immer Vorreiter. Keiner konnte es so effizient produzieren wie wir. Bis ein indisches Unternehmen eine billigere Version in der Krankenkassenausschreibung angeboten hat. Krankenkassen geben bei Ihren Ausschreibungen keinen Bonus für eine Produktion in Sachsen-Anhalt, sie geben dem billigsten Anbieter den Zuschlag.
Zur Person
Grit Müller arbeitet seit 2006 bei Salutas am Standort Barleben. Die Betriebswirtin und Linguistin begann als Trainee und wollte zunächst nur einen Sommer lang bleiben. Sie blieb bis heute – und ist seit zweieinhalb Jahren Geschäftsführerin.
Mit welcher Strategie steuern Sie gegen?
Grit Müller: Wir setzen auf höhere Marktanteile. Etwa beim Brustkrebsmittel Tamoxifen: Hier wäre es im Jahr 2023 beinahe zu einem erneuten Versorgungsengpass wie 2022 gekommen. Da frühere Wettbewerber aus Kostengründen aus dem Markt ausgestiegen sind — die Politik hat ja keine Preiserhöhung ermöglicht — mussten wir eine unternehmerisch schwierige Entscheidung treffen. Uns war klar: Für den Preis von 8,80 Euro pro Dreimonatspackung können wir nur produzieren, wenn wir hochskalieren. Wir haben also unsere Produktion ausgebaut und können zumindest mittelfristig die Grundversorgung für Deutschland mit Tamoxifen absichern – auch wenn der Preis für dieses lebensrettende Medikament natürlich viel zu niedrig ist.
Aber so entstehen Monopole!
Grit Müller: Völlig richtig. Wir haben bei Tamoxifen heute einen Marktanteil von über 70 Prozent – versorgen die Patient:innen also größtenteils allein. Das ist ein Monopol wider Willen. Wir fänden es gut, wenn die Versorgung auf mehreren Schultern liegen würde, denn es gibt aktuell wohl kaum ein weiteres Unternehmen in Deutschland, welches im Falle eines Produktionsengpasses einspringen könnte.
Die Tamoxifen-Produktion in Barleben
Fotos: © www.AndreasLander.de
Eine gefährliche Entwicklung. Wann haben Sie begonnen, auf maximale Effizienz zu setzen?
Grit Müller: Das kam mit der Einführung der Rabattverträge, die wir hier in Barleben 2011 oder 2012 zu spüren bekamen. Damals änderte sich die Grund-Prämisse der Generika-Versorgung. Diese hieß nicht länger „Versorgungssicherheit“, sondern fortan „Billigpreis“. Wenn ein Produkt „Hauptsache billig“ sein soll, muss man es anders herstellen, als wenn es „Hauptsache verfügbar“ sein soll. Die Konsequenz ist, dass wir einige unserer Wirkstoffe aus Kostengründen zwischenzeitlich in Asien kaufen müssen und sich auch dort monopolistische Strukturen gebildet haben. Das führt dazu, dass wir im Falle des Falles nicht agil sein können und Engpässe der Zulieferer direkt auf die Versorgung durchschlagen.
Die Produktionsschritte des einstigen Blockbusters: Für den den Blutdrucksenker “Metoprolol Succinat” ist Barleben nicht mehr Vorreiter.
Die Politik wirkte bei den jüngsten Engpässen sehr wach. Erhalten Sie die Rückendeckung, die Sie brauchen?
Grit Müller: Leider nein. Die Hindernisse sind riesig. Es ist ermüdend, wie lange wir auf Genehmigungen warten und wieviel Zeit und Geld die Bürokratie frisst. Die Politik muss endlich einsehen, dass wir systemrelevant sind. Ich meine: Jede fünfte generische Arzneimittelpackung in Deutschland kommt aus Barleben. Jeder 10. Patient in Deutschland wird aus unserer Produktion versorgt. Da kann es doch nicht sein, dass ich einem Bundesminister zu Beginn der Energie-Krise erst einmal erklären muss, warum unsere Produktion am Laufen bleiben muss.
Aber der Bundesgesundheitsminister will mit dem Lieferengpass-Gesetz ALBVGG gerade Werke wie das Ihrige stärken. Es wird also besser?
Grit Müller: Bislang bedeutet das ALBVVG für uns nur eins: Schmerzen! Die Rabattverträge laufen weiter, die Preise sind also weiterhin niedrig. Gleichzeitig muss ich auf eigene Kosten die Produktion erhöhen. Um jetzt eine Ausschreibung gewinnen zu können, muss ich einen Vorrat von sechs Monaten angelegt haben. Das führt dazu, dass ich ein Arzneimittel schon produziere, bevor ich überhaupt weiß, ob ich die Ausschreibung gewinne. Verliere ich die Ausschreibung, muss ich es irgendwie weiterverkaufen oder für viel Geld entsorgen. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Produktionskapazitäten ohnehin eng sind (deswegen gibt es ja Engpässe!) und ich gar nicht weiß, wo ich die immensen Vorräte lagern soll. Kurzum: Das ALBVVG hat die Situation für uns verschärft, nicht erleichtert.
Derzeit wird viel über die Rückholung der Generika-Produktion nach Europa gesprochen. Ein realistisches Ziel?
Grit Müller: Eine Investition in europäische Werke kann nur sinnvoll sein, wenn es auch vernünftige Anreize gibt. Dazu mal folgende Geschichte: Der Sandoz-Konzern investiert in den Bau eines Biosimilar-Werkes. Wir hätten das hier in Barleben gern und gut gemacht. Platz genug haben wir hier. Den Zuschlag hat aber Slowenien bekommen.
Warum?
Grit Müller: Deutschland steht in einem starken Wettbewerb mit anderen attraktiven Volkswirtschaften und Slowenien bietet mit seiner sehr gut ausgebildeten Bevölkerung interessante Markt- und Investitionsbedingungen. Zudem ist Sandoz bereits seit vielen Jahre in Slowenien aktiv und wird als Unternehmen hoch angesehen. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit der slowenischen Politik und den Behörden oft unbürokratischer, Entscheidungen werden viel schneller getroffen. Während wir hier in Deutschland einen „Letter of Intent“ des Ministerpräsidenten bekamen, hat sich der slowenische Premierminister persönlich für den Bau des Biosimilar-Werkes eingesetzt.
Bundeskanzler und Ampel-Koalition feiern sich für die Pharmastrategie, die fast ausschließlich die forschende Pharmaindustrie stärkt. Was müsste die Poltitik tun, um Ihr Werk zu unterstützen?
Grit Müller: Er muss die Monopolisierung aufweichen. Es ist zu gefährlich, wenn die Versorgung von einem Unternehmen abhängt. Und die Bundesregierung muss die Ausschreibungskriterien überarbeiten. Der Preis darf nicht das einzige Zuschlagskriterium sein, europäische und diversifizierte Produktion muss sich lohnen. Ansonsten können wir irgendwann nicht mehr für den deutschen Markt produzieren.
Was ist der Denkfehler der Politik?
Grit Müller: Die Politik stärkt vermeintlich den „Pharmastandort“, aber sie tut dabei nichts für die Grundversorgung. Sie differenziert nicht zwischen den forschenden Arzneimittelherstellern und den Generika-Produzenten. Pharma ist eben nicht gleich Pharma. Generikaunternehmen stemmen 80 Prozent der Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland, und das für im Schnitt 6 Cent pro Tagesdosis. Gehen sie mal in einen Supermarkt und suchen sie ein Produkt, das 6 Cent kostet und den ganzen Tag vorhält. Ich sage: Sie werden keines finden. Der Politik muss endlich klar sein: Milliarden-Investitionen von forschenden Pharmaunternehmen sind toll für den Standort, aber sie werden die essenzielle Versorgung von Krebs‑, Schmerz oder Herz-Kreislauf-Patient:innen nicht gewährleisten.
Wir danken für das Gespräch!
Seit knapp 30 Jahren am Standort Barleben
Die Salutas Pharma GmbH in Barleben (Sachsen-Anhalt) zählt zu den modernsten, leistungsfähigsten Pharmaproduktions- und Logistikzentren Europas. Von rund 1.400 Mitarbeitern werden jährlich mehr als 11 Milliarden Tabletten produziert – darunter Wirkstoffe gegen Krebs, Diabetes und Bluthochdruck.
Mehr als die Hälfte der in Barleben hergestellten Medikamente kommt auf den deutschen Markt. Das Ergebnis zeigt sich in den Apotheken und im heimischen Tablettenschrank: Jede zehnte Packung aus dem Apothekenregal wurde in Barleben produziert, jede fünfte wurde hier umgeschlagen.
Der Vorteil einer heimischen Produktionsstätte zeigte sich im Jahr 2022. Damals drohte das alternativlose Brustkrebsmittel Tamoxifen knapp zu werden. Als einziger Hersteller konnte Sandoz eine Sonderproduktion einschieben – es war das Team in Barleben, das den Engpass abwendete und die Versorgung der Patient:innen sicherte.