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Jetzt Arz­nei­mit­tel­eng­päs­se von mor­gen verhindern!

Wie ein Früh­warn­sys­tem Eng­päs­se nicht nur erken­nen, son­dern ihnen auch vor­beu­gen kann

Packun­gen mit Tablet­ten rasen über rat­tern­de Bän­der. Gabel­stap­ler fah­ren Trich­ter­con­tai­ner umher. Men­schen in wei­ßen Over­alls prü­fen Maschi­nen, die im Sekun­den­takt wei­ße Pil­len aus­spu­cken. Hier im Werk in Bar­le­ben bei Mag­de­burg wird das Brust­krebs­mit­tel Tam­oxi­fen produziert.

Der Rein­raum, in dem die Pro­duk­ti­on statt­fin­den muss, ist für Frau­en ver­bo­ten. Und auch die zehn Män­ner des Pro­duk­ti­ons­teams müs­sen sich gegen die hoch­ak­ti­ve Sub­stanz wapp­nen. In raum­an­zug­ar­ti­gen Sicher­heits­an­zü­gen bah­nen sie sich ihren Weg durch die Rei­ni­gungs­schleu­sen in den Produktionsraum.

Die Stim­mung ist kon­zen­triert. Es darf nichts schief­ge­hen. Denn stockt die Pro­duk­ti­on, kann das die Ver­sor­gung von rund 120 000 Brust­krebs­pa­ti­en­tin­nen gefähr­den. War­um? Das Unter­neh­men, das hier Tam­oxi­fen pro­du­ziert, ist der letz­te gro­ße Her­stel­ler am Markt. Und es erhält für die Tages­do­sis die­ses Arz­nei­mit­tels, das so auf­wen­dig in der Pro­duk­ti­on ist, gera­de ein­mal neun Cent.

In Bar­le­ben wird das Brust­krebs­mit­tel Tam­oxi­fen unter höchs­ten Sicher­heits­auf­la­gen produziert

Der Kos­ten­druck hat vie­le Her­stel­ler aus dem Markt gedrängt

Bei vie­len Arz­nei­mit­teln stemmt ein ein­zi­ger Her­stel­ler 50 Pro­zent der Ver­sor­gung und mehr. Hat er ein Pro­blem – etwa, weil eine Maschi­ne aus­fällt oder die Nach­fra­ge nach oben schnellt –, kann es zum Eng­pass kom­men. „Ob Tam­oxi­fen, Fie­ber­saft oder Kin­der-Anti­bio­ti­ka: Die jüngs­ten Eng­päs­se konn­ten nur so dra­ma­ti­sche Aus­ma­ße anneh­men, weil es zu weni­ge Her­stel­ler für die­se Arz­nei­mit­tel gibt“, sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka, und erklärt auch, war­um das so ist: „Die Pro­duk­ti­on vie­ler Arz­nei­mit­tel rech­net sich nicht mehr. Immer mehr Unter­neh­men stei­gen aus. Die letz­ten ver­su­chen nach Kräf­ten die Ver­sor­gung zu sichern – und schaf­fen es oft­mals nicht.“

Ein Früh­warn­sys­tem soll­te Alarm schla­gen, wenn zu vie­le Her­stel­ler aus­ge­stie­gen sind

Nun sucht die Poli­tik nach Lösun­gen. Das Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM) soll, so will es das Lie­fer­eng­pass­ge­setz, das 2023 ver­ab­schie­det wur­de, ein Früh­warn­sys­tem ent­wi­ckeln, das Knapp­hei­ten anhand bestimm­ter Kri­te­ri­en recht­zei­tig erkennt.

Wor­an aber lässt sich able­sen, dass ein Arz­nei­mit­tel knapp zu wer­den droht? Was muss pas­sie­ren, wenn sich ein Eng­pass abzeich­net? Und wie lässt sich die­ser abwenden?

Für Brett­hau­er ist klar: Ein Früh­warn­sys­tem muss Alarm schla­gen, sobald sich eine gefähr­li­che Anbie­ter­kon­zen­tra­ti­on abzeich­net: „Wenn bloß noch drei oder vier Anbie­ter am Markt sind, muss das BfArM aktiv wer­den. Es muss prü­fen: War­um gibt es bloß noch so weni­ge Her­stel­ler? Ist das Aus­schei­den der ande­ren eine Fol­ge des nied­ri­gen Preis­ni­veaus?“ Ist dies der Fall, brau­che es Anrei­ze für die Unter­neh­men im Markt zu blei­ben oder gar zurück­zu­keh­ren. Brett­hau­er: „Um die damit ver­bun­de­nen Inves­ti­tio­nen stem­men zu kön­nen, brau­chen Unter­neh­men Pla­nungs­si­cher­heit. Fünf Jah­re lang darf es des­halb kei­ne Rabatt­ver­trä­ge geben, und der Fest­be­trag muss erhöht werden.“

Schmer­zen, Krebs, Dia­be­tes — die­se 5 wich­ti­gen Arz­nei­mit­tel sind in Gefahr

Dia­be­tes­mit­tel Metformin

ist uner­läss­lich für die Ver­sor­gung. Nahe­zu die Hälf­te der acht Mil­lio­nen Patient:innen mit Dia­be­tes-Typ 2 wird damit behan­delt. Zwar gibt es zahl­rei­che Wirk­stof­fe, die blut­zu­cker­sen­kend wir­ken, aber kei­ne mit einem ver­gleich­ba­ren Wirk­pro­fil wie Met­formin. Für den deut­schen Markt gibt es noch zwei Her­stel­ler, die im nen­nens­wer­ten Umfang Met­formin pro­du­zie­ren – davon hält einer einen Markt­an­teil von 61,7 Prozent.

Anti­bio­ti­kum Doxycyclin

ist ein Anti­bio­ti­kum und das ein­zi­ge Mit­tel aus der Grup­pe der Tetra­zy­kli­ne von Rele­vanz, wird bei Chla­my­di­en­in­fek­tio­nen, Akne oder Bor­re­lio­se (Hirn­haut­ent­zün­dung) ein­ge­setzt. Es wird in Deutsch­land noch von vier Unter­neh­men in nen­nens­wer­tem Umfang pro­du­ziert. Eins davon stemmt mehr als die Hälf­te des Mark­tes (56,3 Pro­zent). Fällt die­ses Unter­neh­men aus, kön­nen die ande­ren mit deut­lich klei­ne­ren Markt­an­tei­len nicht ohne Wei­te­res ein­sprin­gen. Ein Eng­pass könn­te die Fol­ge sein – mit mas­si­ven Kon­se­quen­zen für die Patient:innen.

Schmerz­mit­tel Metamizol

ist ein Schmerz­mit­tel, das nach Ope­ra­tio­nen ein­ge­setzt oder gegen chro­ni­sche star­ke Schmer­zen (z.B. Tumor­schmer­zen) gege­ben wird und ist – vor allem für älte­re Men­schen – sehr wich­tig. Oft kann es nur durch deut­lich stär­ke­re Opio­ide ersetzt wer­den. Für Met­ami­zol gibt es noch drei Haupt­her­stel­ler in Deutsch­land. Davon hat einer einen Markt­an­teil von 72,1 Prozent.

Blut­druck­sen­ker Ramipril

wird von rund sechs Mil­lio­nen Men­schen mit Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen ange­wen­det. Pro Jahr wer­den in Deutsch­land rund 2,2 Mil­li­ar­den Tages­do­sen davon benö­tigt. Eine gewal­ti­ge Men­ge, die bloß noch drei Anbie­ter in Deutsch­land bereit­stel­len. Gefähr­lich: Ein ein­zi­ger Her­stel­ler stellt knapp die Hälf­te der benö­ti­gen Tablet­ten bereit – eine Men­ge, die im Fal­le eines Pro­blems kurz- und mit­tel­fris­tig kein ande­rer Her­stel­ler über­neh­men kann.

Brust­krebs­mit­tel Tamoxifen

ist der Stan­dard für die adju­van­te The­ra­pie bei hor­mon­emp­find­li­chem Brust­krebs. Alter­na­ti­ven gibt es in vie­len Fäl­len nicht. Aro­ma­ta­se­hem­mer kön­nen infra­ge kom­men, aber hier ist die Lage mit Blick auf die Anzahl der Her­stel­ler ähn­lich pre­kär wie bei Tam­oxi­fen. So kommt es dazu, dass die der­zeit 120 000 betrof­fe­nen Patient:innen zum größ­ten Teil von einem Her­stel­ler abhängen.

Es herr­schen oli­go­po­lis­ti­sche Strukturen

Der Blick auf die Markt­an­tei­le, die die ein­zel­nen Her­stel­ler haben, offen­bart: Es herr­schen oli­go­po­lis­ti­sche Struk­tu­ren und bei eini­gen Arz­nei­mit­teln eine hohe Abhän­gig­keit von einem ein­zi­gen Anbieter.

So weni­ge Her­stel­ler pro­du­zie­ren die 5 Arz­nei­mit­tel über­haupt noch

Der Preis­druck hat vie­le Her­stel­ler aus dem Markt gedrängt

Für kei­nes die­ser Arz­nei­mit­tel erhält der Her­stel­ler mehr als ein paar Cent pro Tages­the­ra­pie­do­sis. Bei allen ist der Fest­be­trag – also der Betrag, den die Kran­ken­kas­sen für das Arz­nei­mit­tel erstat­ten – seit zehn Jah­ren unver­än­dert nied­rig. Und von all die­sen Beträ­gen gehen die Rabat­te, die die Her­stel­ler den Kran­ken­kas­sen gewäh­ren, noch ab – genau wie sämt­li­che Herstellkosten.

Ein Früh­warn­sys­tem muss hier eingreifen

Brett­hau­er: „Die Kos­ten für Mate­ri­al und Pro­duk­ti­on sind in den letz­ten Jah­ren mas­siv ange­stie­gen, die Prei­se aber sind seit mehr als zehn Jah­ren im Kel­ler ein­be­to­niert. Oft ste­hen die Unter­neh­men dann vor der Ent­schei­dung: Ent­we­der ich mache ein Ver­lust­ge­schäft – oder ich stei­ge aus der Pro­duk­ti­on aus. Immer mehr müs­sen die letz­te­re Opti­on wählen.“ 

Eine Ent­wick­lung, die es nun zu stop­pen gilt. Mit einem Mecha­nis­mus, der nicht bloß warnt – son­dern direkt gegen­steu­ert. Für Brett­hau­er liegt in dem im ALBVVG fest­ge­leg­ten Früh­warn­sys­tem eine gro­ße Chan­ce: „Wenn wir jetzt die rich­ti­gen Kri­te­ri­en ent­wi­ckeln und direkt Gegen­maß­nah­men defi­nie­ren kön­nen, kann das Knapp­hei­ten wirk­lich abwen­den. Aber nur dann. Ansons­ten kom­men die nächs­ten Eng­päs­se bestimmt – und zwar mit Ansage!“

Güns­ti­ger als jedes Kaugummi

2 Cent erhal­ten Her­stel­ler für die Tablet­te eines Dia­be­tes­mit­tels. Immer weni­ger Her­stel­ler kön­nen dafür noch pro­du­zie­ren. Die letz­ten Ver­blie­be­nen bezie­hen fast nur von asia­ti­schen Zulie­fe­rern. War­um reagiert die Poli­tik nicht?

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