Ist Europas letzte vollumfängliche Penicillin-Produktion in Gefahr? Wenn sich die Arzneimittel-Produktion auf wenige Hersteller und
Regionen konzentriert, entstehen gefährliche Abhängigkeiten. Die Energiekrise verschärft aktuell das Problem — das Risiko für Engpässe steigt.
Der österreichische Ort Kundl ist die einzige europäische Produktionsstätte, in der diese lebenswichtige Arzneimittelgruppe noch hergestellt wird – und zwar vollumfänglich, also vom Wirkstoff bis zum Fertigarzneimittel. Jetzt explodieren die Energiekosten und die Frage lautet: Wie lange geht das noch?
- Das Werk in Kundl stellt auch Amoxicillin her — ein Penicillin-Derivat, das etwa Kinder bei Lungen- oder Mittelohrentzündungen verschrieben bekommen.
- Der Preis, den die Hersteller dafür bekommen, sinkt seit Jahren. Immer mehr Unternehmen haben sich deshalb aus dem Markt zurückgezogen.
- Als letztes großes Unternehmen ist Sandoz mit Amoxicillin auf dem deutschen Markt. Das Unternehmen, das in Kundl produziert, hat einen Marktanteil von 70 Prozent.
Eine gefährliche Marktkonzentration
Wie riskant es ist, wenn die Versorgung bloß noch von einem Hauptanbieter gestemmt wird, merken derzeit die Patient:innen in der Apotheke. Während die Bedarfe an Amoxicillin in die Höhe schnellen, kann die Produktion so schnell nicht angepasst werden. Erste Lieferengpässe sind die Folge. Und andere Hersteller können nicht einspringen, da sie die Produktion längst eingestellt haben.
Steigende Energiekosten verschärfen das Problem. „Wir haben bei der Antibiotika-Produktion massive Kostensteigerungen“, sagt Peter Stenico, Country Head Sandoz Germany. „Das Werk in Kundl verbraucht etwa so viel Strom wie die Stadt Innsbruck. Die Energiekosten lagen bisher bei etwa 10 bis 15 Millionen Euro im Jahr. Die Prognose für 2023: Kosten von 100 bis 120 Millionen Euro.“
Trotz explodierender Kosten können die Hersteller die Preise für Amoxicillin nicht erhöhen. Diese werden durch Festbeträge und aggressive Ausschreibungen der Krankenkassen auf Kellerniveau festgeschrieben.
„Wenn Unternehmen mit der Herstellung von Arzneimitteln ins Minus rutschen, müssen sie die Produktion einstellen“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. „Die Politik muss jetzt gegensteuern und es den Generika-Herstellern möglich machen, ihre Preise den Kosten anzupassen. Ansonsten ziehen sich noch mehr Unternehmen zurück und es wird weitere Engpässe geben.“
Oktober 2022