Seit Monaten werden immer wieder Antibiotika knapp. Sie fehlen im Kampf gegen Infektionen, sie fehlen in Krankenhäusern und sie fehlen bei der Behandlung von Kindern.
Was die Hersteller gegen die Engpässe bei Arzneimitteln tun, was jetzt geschehen muss und wann mit einer Entspannung der Lage zu rechnen ist, lesen Sie hier.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Arzneimittel-Knappheit
Warum kommt es gerade jetzt zu Engpässen bei Antibiotika?
Die starke Infektionswelle im vergangenen Winter mit einem massiv verstärkten Aufkommen von viralen Infektionen und Bakterieninfektionen der Atemwege hat die Versorgung mit den betreffenden Arzneimitteln schwer strapaziert. Für einzelne Arzneimittel war die Nachfrage in einem Quartal so hoch wie vor der Pandemie in einem ganzen Jahr. Auch im 1. Quartal 2023 verzeichneten die Hersteller noch eine deutliche höhere Nachfrage, als es etwa vor der Corona-Pandemie der Fall war. Das und die in anderen europäischen Ländern ebenfalls gestiegene Nachfrage führen dazu, dass es derzeit bei den Unternehmen und in den Handelskanälen keinerlei Warenbestandspuffer gibt und die Produktionskapazitäten auch nicht ausreichen, um diese Bestände wieder aufzufüllen..
Waren die Engpässe absehbar?
Ja. Seit Jahren weist der Verband auf die desolate Lage der Antibiotika-Produktion in Deutschland und die große Abhängigkeit von Asien hin. Der jahrzehntelange Kostendruck besonders auf Antibiotika etwa für Kinder hat zu Abwanderung, Erosion und einer teils dramatischen Konzentration der Anbieter geführt.
So konnten die Hersteller angesichts dauerhaft niedriger Margen (für eine Packung Penicillin V mit 10 Tabletten erhält ein Hersteller weniger als 76 Cent) keine größeren Investitionen in diesem Bereich tätigen und wurden von staatlicher Seite auch nicht unterstützt. Hinzu kommt, dass die Nachwirkungen der Pandemie sowie der russische Krieg gegen die Ukraine die Lieferketten nach wie vor stressen und Verbrauchsmaterialien, Packmittel oder Rohstoffe weiterhin knapp sind.
Angesichts der Komplexität der Produktion und dem niedrigen Erstattungsniveau haben sich mehr und mehr Hersteller aus der Versorgung zurückgezogen. Jetzt versuchen die letzten verbliebenen Unternehmen die hohe Nachfrage zu decken und kommen dabei nicht hinterher.
Dazu sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika:
„Die Knappheit bei Antibiotika und bei Kinderarzneimitteln offenbart ein Problem, das sich seit Jahren zuspitzt. Pro Generika hat die Politik schon lange auf mögliche Gefahren von Engpässen bei Antibiotika aufmerksam gemacht. Doch die hat nicht reagiert. Jetzt fasst das ALBVVG das Problem zwar an. Doch das kommt für die aktuelle Krise zu spät.”
Pro Generika hat bereits 2017 bei der Unternehmensberatung Roland Berger eine Studie in Auftrag gegeben und prüfen lassen, ob mehr Antibiotikaproduktion in Deutschland möglich ist. Im Jahr 2018 hat Roland Berger mit einer weiteren Studie nachgelegt und ausgerechnet, was es kosten würde, die Produktion von Antibiotika zurück nach Deutschland zu holen.
Was tun die Hersteller, um der Nachfrage Herr zu werden?
Die Hersteller versuchen seit Monaten nach Kräften die Bestellungen abzuarbeiten und wo immer möglich, die Produktion hochzufahren. Dabei stoßen sie an ihre Grenzen, zumal es bei einigen Wirkstoffen bloß noch einen einzigen Anbieter gibt und dieser allein die Nachfrage nicht bedienen kann. Zudem sind die Lieferketten für Rohstoffe und Verbrauchsmaterialien teilweise weiter fragil.
Haben die aktuellen Engpässe mit den gestiegenen Energiekosten zu tun?
Die Produktion von Antibiotika (insbesondere die Fermentation) ist sehr rohstoff- und energieintensiv und hat sich – bei gleichbleibend niedrigen Erstattungspreisen – stark verteuert. So hat etwa die Sandoz-Produktionsstätte in Kundl (Österreich) einen Stromverbrauch, der dem der Stadt Innsbruck entspricht, und war zwischenzeitlich mit um das Zehnfache gestiegenen Energiekosten konfrontiert. Diese Belastung vergrößert derzeit den Wettbewerbsvorteil von Ländern wie China, wo Hersteller billigere und z.T. subventionierte Energie nutzen können, um ein Vielfaches.
Hilft das ALBVVG auch gegen Antibiotika-Engpässe?
Kurzfristig wird das ALBVVG nichts verändern können. Zwar legt es fest, dass bei Ausschreibungen ein Teil der Antibiotika-Wirkstoffe aus einer europäischen Quelle kommen soll, und bildet somit den Versuch, Lieferketten zu diversifizieren und Abhängigkeiten von Asien zu reduzieren – vorausgesetzt, es gibt überhaupt noch einen europäischen Hersteller für den Wirkstoff.
Es bleibt aber das strukturelle Problem: Hersteller ziehen sich zurück, wenn die Produktion für sie wirtschaftlich nicht mehr darstellbar ist. Und das ALBVVG sieht weder Maßnahmen zur Entlastung der Hersteller vor, noch setzt es hinreichend Anreize, dass wieder mehr Hersteller in die Produktion in Europa einsteigen.
Dazu Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika: “Mit Blick auf Antibiotika und Kinder-Arzneimittel geht das ALBVGG zwar einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Doch wir bezweifeln, dass diese Maßnahmen ausreichen, um strukturelle Marktveränderungen zu erzielen. ”
Und das ist das Problem:
- Real entlastet der Gesetzgeber die Hersteller, die unter höheren Kosten leiden und gleichzeitig ihre eigenen Preise nicht erhöhen können, nicht
- Zwar legt das ALBVVG für Kinderarzneimittel eine Preiserhöhung um bis zu 50 Prozent fest. Das aber wird in vielen Fällen keinen ökonomisch ausreichenden Spielraum schaffen, den es bräuchte, um weitere Unternehmen zur Produktion zu animieren. Bei vielen Kinderarzneimittel erlaubt der neue Preis gerade einmal eine kostendeckende Produktion.
- Zudem kommen die z.T. gewährten Preiserhöhungsoptionen nicht voll bei den Herstellern an, da der Gesetzgeber es verpasst, auch Hersteller- und Generikarabatte für diese Arzneimittel abzuschalten
Was muss geschehen, damit sich die Situation bei Antibiotika langfristig verbessern kann?
Zuallererst muss klar sein: Es gibt keine kurzfristige Lösung. Die Lage bei den Produzenten hat sich über Jahre immer weiter zugespitzt, so dass Unternehmen aus der Versorgung ausgestiegen sind. Nun trifft eine extrem hohe Nachfrage auf sehr begrenzte Produktionskapazitäten. Das zu ändern, wird einige Jahre dauern – sofern man jetzt endlich und vor allem konsequent politisch handelt.
Inflationsausgleich für die Unternehmen
Bei vielen Antibiotika muss jetzt sichergestellt werden, dass die letzten Anbieter am Markt verbleiben. Bislang hatten diese mit steigenden Kosten zu kämpfen und nicht die Möglichkeit, die Preise zu erhöhen. Jetzt sollen zumindest Antibiotika für Kinder 50 Prozent teurer werden dürfen. Das aber reicht nicht. Es ermöglicht in viele Fällen gerade einmal eine kostendeckende Produktion – und wird Unternehmen schwerlich dauerhaft im Markt halten können. Es ist deshalb wichtig, den im Gesetz bereits existierenden Inflationsausgleich so anzupassen, dass er bei den Generikaunternehmen auch wirklich ankommt und diese entlastet.
Investitionsförderungen von Produktionsstätten
Nur eine Ausweitung der Produktionskapazitäten bzw. eine Effizienzsteigerung durch einen Technologie-Upgrade kann das Problem der Antibiotika-Engpässe langfristig lösen. Dafür aber brauchen die Unternehmen angesichts des niedrigen Erstattungsniveaus die Unterstützung der Politik. Diese kann sich zum Einen in konkreten Subventionen zeigen (so hat es die Österreichische Regierung in Kundl gelöst, sie hat den Ausbau der Penicillin-Produktion mit 50 Millionen Euro unterstützt). Sie kann sich zum anderen in Bürokratie-Erleichterungen zeigen. Denn: Produktionserweiterungen haben jahrelangen Vorlauf (i.d.R. 2 bis 3 Jahre) und die lassen sich abkürzen.
Aufbau einer Reserve
Um Engpässe abzufedern, kann eine rollierende Reserve von Arzneimitteln sinnvoll sein. Diese aber wird nur Erfolg haben, wenn die Unternehmen Abnahmegarantien erhalten bzw. die Läger staatlich finanziert sind. Denn: Werden Unternehmer verpflichtet noch größere Läger anzulegen, ist das mit weiteren Mehrkosten verbunden. Dies aber wird den Prozess, dass Unternehmen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit aus der Produktion aussteigen, noch verstärken und ist deshalb gefährlich für die Versorgungssicherheit.
Novellierung des Preissystems
Um dauerhaft wirtschaftlich arbeiten zu können (etwa indem sie eine zweite Wirkstoffquelle aufnehmen), müssen Unternehmen für ihre Arzneimittel auskömmliche Preise erzielen können. Ist dies nicht mehr der Fall, müssen Arzneimittel für versorgungskritische Indikationen (also auch Antibiotika) für ausreichend lange Zeiträume (5 Jahre) von sämtlichen Preissenkungsinstrumenten befreit werden. Nur so werden Unternehmen ermutigt, in diesem Bereich zu investieren und die Produktion aufrechtzuhalten. Hier geht das ALBVVG bislang nicht konsequent genug vor, da es z.B. Rabattverträge und Zwangsrabatte bestehen lässt und insofern die Kostendruck auf Antibiotika nicht nennenswert lockert.
Diversifizierung von Lieferketten
Darüber hinaus sollten verbindliche Vorgaben für die Gestaltung der Lieferketten in allen Rabattverträgen festgelegt werden, um mehr Diversifizierung zu erreichen. Eine solche Diversifizierung würde das Risiko von Abhängigkeiten reduzieren und den Wettbewerb fördern.
Wird sich die Lage im Sommer von ganz alleine entspannen?
Eine saisonbedingte Entspannung der Lage dürfte sich erst in den kommenden Wochen/Monaten mit wärmeren Temperaturen einstellen.
Müssen wir uns im kommenden Herbst auf neue Engpässe einstellen?
Die Generika-Unternehmen tun alles, damit es nicht so kommt. Allerdings erleben wir derzeit die Folgen eines sich jahrelang zuspitzenden Problems und das wird auch im kommenden Herbst noch bestehen. Denn: Die Engpässe bei Antibiotika sind entstanden, weil eine extrem hohe Nachfrage auf begrenzt vorhandene Produktionskapazitäten und eine zu geringe Anbieterzahl trifft.
Seit Jahren gestatten die niedrigen Erstattungspreise den Unternehmen nicht, in ihre Produktionsstätten zu investieren und diese auszubauen. Im Gegenteil: Immer mehr Hersteller mussten sich zurückziehen, weil die Produktion unter den aktuellen Rahmenbedingungen für sie nicht mehr wirtschaftlich ist. Anders als die österreichische Regierung, die schon 2020 verkündet hat, die Penicillin-Produktion der Firma Sandoz in Kundl zu unterstützen, hat die deutsche Politik bislang nicht reagiert. Erst mit dem ALBVVG nimmt sie sich erstmals des Problems an. Leider kommt das zu spät- und greift zu kurz. Keine Firma wird auf Basis des ALBVGG in ihre Produktion investieren und diese ausbauen. Und selbst wenn, würde es Jahre dauern.
Die Tendenz, dass Hersteller aussteigen, sehen wir übrigens auch bei anderen Arzneimitteln — z.B. für Kinder. Hier sichern bloß noch wenige Hersteller die Versorgung. Steigt die Nachfrage unerwartet an, kann die von den letzten Verbliebenen oft nicht bedient werden. So ist etwa Teva der letzte große Hersteller für Paracetemol-Fiebersaft, produziert seit Monaten auf Hochtouren – und kommt doch nicht hinterher.
Bei welchen Arzneimitteln gibt es sonst noch Engpässe?
Lieferengpässe kommen in allen Arzneimittelbereichen vor. In letzter Zeit aber sind vor allem Krebsmittel, Antibiotika, Blutdrucksenker und Kinderarzneimittel knapp geworden. So gab es Anfang des Jahres Probleme, Brustkrebspatientinnen mit Tamoxifen zu versorgen. Jüngst wurde Amoxicillin, das etwa Kinder bei Lungen- oder Mittelohrentzündungen verschrieben bekommen, knapp. Und es gibt seit Monaten immer wieder Schwierigkeiten mit der Verfügbarkeit von Fiebersäften für Kinder. Die Liste mit den gemeldeten Lieferengpässen führt das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Warum kam es im vergangenen Winter zu Lieferengpässen bei Fiebersaft für Kinder?
Wie bei Antibiotika gab es auch bei Fiebersaft eine massiv gestiegene und für Unternehmen nicht planbare Nachfrage. Die Anzahl der Bestellungen bei den Unternehmen war zwischenzeitlich bis zu achtmal so hoch wie in anderen Jahren.
Die Lage verschärften Engpässe bei der Beschaffung von Material. Mal war Glas für die Flaschen knapp, dann fehlte die Kartonage für die Verpackung. Mehrere Wochen gab es keine Verschlusskappen, dann fehlten wieder die Lastwagen, die die Ware ausliefern sollten. Hinzu kam eine teils massive Personalknappheit.
Das eigentliche Problem aber hat sich über Jahre aufgebaut und ist von unserem Gesundheitssystem selbst verursacht: Da die Erstattungspreise für Fiebersäfte – wie für viele andere Generika auch – seit Jahren auf niedrigstem Niveau festzementiert sind, ist die Produktion für viele Hersteller nicht mehr wirtschaftlich. Immer mehr Generikaunternehmen haben sich deshalb aus der Versorgung zurückgezogen.
Diese Marktkonzentration sehen wir in besonders dramatischer Form bei den Paracetamol-Fiebersäften. Waren es vor zwölf Jahren noch 11 Anbieter, die den Markt versorgten, ist jetzt nur noch ein nennenswerter Anbieter übrig. Erst im Mai 2022 war der vorletzte Haupthersteller aus Wirtschaftlichkeitsgründen aus der Produktion von Fiebersaft ausgestiegen. Doch auch beim Fiebersaft mit dem Wirkstoff Ibuprofen gibt es bereits einen bedrohlichen Rückgang der Herstelleranzahl. Hier versorgt das Pharmaunternehmen Zentiva allein zwei Drittel des Marktes. Zum aktuellen Stand der eingeschränkten Verfügbarkeit von Paracetamol- und Ibuprofen-haltigen Fiebersäften für Kinder informiert das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hier.
Warum sind derzeit gerade Kinderarzneimittel von Lieferengpässen betroffen?
Bei Kinderarzneimitteln ist der Kostendruck noch höher als bei anderen Generika. Denn diese haben in der Regel einen niedrigen Festbetrag. Das ist der Betrag, den Krankenkassen dem Hersteller erstatten – unabhängig davon, wie hoch seine Herstellkosten sind. Kinderarzneimitte sind aber in der Herstellung, zumindest wenn es sich um Säfte handelt, deutlich aufwändiger.
Das hat zweierlei Gründe:
Der unterschiedliche Aufwand, der bei der Herstellung der Darreichungsform entsteht – also ob es sich um eine Tablette oder Saft handelt – wird bei der Erstattung zu wenig berücksichtigt. Kinder bevorzugen Säfte. Und die sind deutlich aufwändiger zu produzieren und somit teurer in der Herstellung. Wer also ein Arzneimittel in Saft-Form herstellt, wird dafür mit Mehrkosten bestraft, die nur unzureichend erstattet werden.
Die Höhe des Festbetrags richtet sich maßgeblich auch nach der Menge des Wirkstoffs. Da Kinder eine geringere Menge an Wirkstoff erhalten, werden Kinderarzneimittel geringer vergütet.
Wie kam es zum Engpass beim Brustkrebsmittel Tamoxifen?
Bei Tamoxifen – einem Wirkstoff, der als sogenanntes Anti-Östrogen bei hormonrezeptorpositiven Brustkrebserkrankungen eingesetzt wird – ist es in den ersten Monaten des Jahres vermehrt zu Lieferengpässen gekommen.
Wichtige Zulieferer, bei denen ein großer Teil der betroffenen Unternehmen Ware bezogen haben, hatten ihre Preise spürbar erhöht, so dass es für Generikaunternehmen unter den gegebenen Erstattungsbedingungen wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war, sich weiter an der Versorgung zu beteiligen. Alternative Zulieferer zu finden, war unter anderem deswegen nicht leicht, weil es nicht mehr genug von ihnen gab.
Auch auf Ebene der Arzneimittelhersteller zeigte sich eine oligopolistische Struktur. Waren es vor 15 Jahren noch weit mehr als ein Dutzend Hersteller gewesen, die den deutschen Markt mit Tamoxifen-Arzneimitteln versorgten, war deren Zahl der Unternehmen zum Zeitpunkt des Engpasses auf vier geschrumpft. Alle anderen hatten die Produktion in den vergangenen Jahren eingestellt. Es dauerte nicht lange, bis alle vier Unternehmen lieferunfähig waren.
Im Frühjahr 2022 gelang es trotzdem den Versorgungsengpass abzuwenden. Dafür sorgte zum einen eine Sondergenehmigung des Bundesgesundheitsministeriums, dass die Einfuhr tamoxifenhaltiger Arzneimittel gestattete. Zum anderen konnte der Hersteller Hexal eine Sonderproduktion Tamoxifen einschieben und das Problem damit – zumindest vorübergehen – zu lösen.
Hat sich die Situation bei der Versorgung mit Tamoxifen jetzt verbessert?
Das Gute ist: Derzeit gibt es genug Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tamoxifen für alle Brustkrebspatientinnen in Deutschland. Die Marktkonzentration aber ist noch bedenklicher geworden als vorher.
Allerdings sind es heute bloß noch zwei Unternehmen, die den Markt mit Tamoxifen versorgen – und von ihnen hat ein Unternehmen einen Marktanteil von vier Fünfteln (Stand: Dezember 2022).
Übrigens ist das Preisniveau, das zu den Marktaustritten der Hersteller und Zulieferer geführt hat, noch dasselbe. Seit 2010 wurde der Festbetrag für den Hersteller nicht erhöht. Das heißt: Für die Dreimonatspackung Tamoxifen erhält ein Unternehmen seit nunmehr zwölf Jahren nur rund 8,80 Euro – und das, obwohl die Kosten seitdem massiv angestiegen sind.
Warum können Generika-Hersteller die Preise nicht erhöhen?
Ein Netz aus Kostensparinstrumenten hält die Preise von Generika seit vielen Jahren im Keller.
- FESTBETRÄGE: Für die meisten Generika gibt es einen Festbetrag – das ist die maximale Summe, die die gesetzlichen Krankenkassen dem Hersteller gestatten. Hebt ein Hersteller seinen Preis über den Festbetrag an, müssen die Patient:innen die Differenz selbst bezahlen.
- PREISMORATORIUM: Ist für ein Generikum kein Festbetrag festgelegt, unterliegt es dem sogenannten Preismoratorium. Dies friert die Preise auf dem Niveau von 2009 ein, bzw. fixiert den Preis, mit dem das Arzneimittel zu einem späteren Zeitpunkt auf den Markt gekommen ist. Hebt nun der Unternehmer seinen Preis über die vom Preismoratorium festgelegte Preisgrenze an, muss er die Differenz als Rabatt an die Krankenkassen zurückzahlen.
- REGEL VON DEN VIER GÜNSTIGSTEN: Darüber hinaus gibt es – neben zusätzlichen gesetzlich vorgesehenen Rabatten — weitere Preisregulierungsmechanismen, die dafür sorgen, dass die Preise „im Keller“ bleiben. Eines davon ist die sogenannte 4‑G-Regel — juristisch gesehen eine untergesetzliche Regelung. Sie verpflichtet die Apotheken dazu, stets eines der vier günstigsten Präparate abzugeben, sofern es keinen Rabattvertrag gibt. Wer also hier nicht darunter fällt, wird nicht abgegeben.
- RABATTVERTRÄGE: Zu guter Letzt sind es die Rabattverträge, die das Preisniveau fixieren. Hier verpflichten sich die Hersteller im Rahmen von Ausschreibungen, ein bestimmtes Arzneimittel zwei Jahre lang zu einem vereinbarten Preis zu liefern. Da diese Ausschreibung derjenige gewinnt, der der Krankenkasse den höchsten Rabatt gewährt, ist dieser Preis meist sehr niedrig. Eine Anpassung nach oben – etwa wegen gestiegener Kosten – ist während eines laufenden Vertrages nicht möglich.
Besonders fatal: Diese Instrumente wirken meist im Zusammenspiel auf Generika ein. So unterliegen die allermeisten Generika sowohl einem Festbetrag als auch einem Rabattvertrag. Erhöht nun ein Hersteller seinen Preis, muss er diese Erhöhung direkt wieder an die Krankenkassen abführen. Denn mit der Preiserhöhung erhöht sich auch der Rabatt an die Krankenkasse – und der reale Preis bleibt weiterhin im Keller.
Ist die Abhängigkeit von Asien eine Ursache für die derzeitigen Engpässe?
Der jahrelange Kostendruck hat zu einer Abwanderung der Produktion generischer Wirkstoffe nach Asien geführt. Zwei Drittel der Wirkstoffe, die hierzulande benötigt werden, stammen mittlerweile aus Ländern wie China und Indien. Das hat zur Folge, dass sich die Lieferketten etwa generischer Blutdrucksenker oder Diabetesmittel über den gesamten Globus erstrecken.
Wie in anderen Branchen auch hat das gerade in Zeiten der Pandemie und des erschütterten Welthandels zur Folge, dass Lieferketten immer wieder unterbrochen sind. Hierbei ist es weniger problematisch, dass die Wirkstoffe aus Indien und China kommen als vielmehr, dass sie ausschließlich von dort kommen.
Dieses Klumpenrisiko ist Folge des Dogmas des günstigsten Preises, das Unternehmen jahrelang gezwungen hat, dort einzukaufen, wo es am billigsten ist, und dafür gesorgt hat, dass Lieferketten mit Blick auf die Versorgungssicherheit nicht angemessen diversifiziert werden konnten.
Mit Blick auf die aktuellen Engpässe aber lässt sich sagen: Knappheiten wie bei Fiebersaft oder Tamoxifen haben ihre Ursache darin, dass die Produktion für die Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich war. Sie haben nichts mit der Abhängigkeit von Asien zu tun, sondern sind eine Folge des Spardrucks und somit hausgemacht.
Warum gibt es anderen Ländern weniger Engpässe als in Deutschland?
Tatsache ist, dass die Krankenkassen hierzulande für viele Arzneimittel weniger bezahlen, als sie kosten. Nur wenige europäische Länder bezahlen noch niedrigere Preise für Generika als Deutschland. Andere Staaten achten nicht nur darauf, dass die Versorgung möglichst billig ist – und haben infolgedessen auch weniger Engpässe.