“Für ein gesundes Europa” hieß die Digitalkonferenz, die auf Initiative von Pro Generika am 7. Oktober 2020 im FAZ-Atrium in Berlin stattfand. Bis zu 8.000 Zuschauende verfolgten via Stream oder vor Ort das Programm, das von Gesundheitsminister Jens Spahn eröffnet wurde. Das zentrale Thema des Events: mehr Versorgungssicherheit für Europa
In seiner Begrüßung hatte Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika e.V., die Dringlichkeit des Themas Versorgungssicherheit unterstrichen. Zwar sei es in Deutschland auf dem Höhepunkt der ersten Covid-19-Welle nicht zu Versorgungsengpässen gekommen. „Das aber war ein beispielloser Kraftakt vor allem der Generikaunternehmen“, so Späth. „Wir dürfen das nicht als Blaupause nehmen und uns darauf verlassen, dass auch beim nächsten Mal alles gut geht.“
Mit Blick auf Gesundheitsminister Jens Spahn mahnte Späth, im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft endlich die erforderlichen Maßnahmen in Richtung mehr Versorgungssicherheit zu ergreifen. Späth: „Lieber kleine, aber konkrete Schritte als große Worte, die in Symbolpolitik enden.“
Spahn machte deutlich, noch in diesem Jahr konkretisieren zu wollen, mit welchen Instrumenten die Politik die europäische Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln unterstützen kann. „Ich pushe das Thema auf europäischer Ebene – wenn es sein muss, auch in einer Nachtsitzung“, sagte er. Er wisse wohl, dass es für eine stabilere Versorgung mehr Diversität in den Lieferketten brauche. Es sei nun zu erarbeiten „mit welchen Instrumenten wir die Produktion und Versorgung hier in Europa wieder anreizen können.“ Ein Weg könnten Investitionszuschüsse sein. Auch könne das Vergaberecht angepasst werden oder aber darüber nachgedacht werden, in der Anfangszeit garantierte Abgabepreise als Anreiz für die Hersteller zu gewähren.
Im ersten Teil „Versorgungssicherheit und Engpässe: Best Practice in Europa“ forderte Christoph Stoller, Präsident Medicines for Europe, konkrete Maßnahmen ein: „Die Ausschreibungspolitik muss so reformiert werden, dass nicht der Billigste den Zuschlag erhält. Neben dem Preis müssen zwingend zusätzliche Kriterien berücksichtigt werden“, so Stoller. „Wenn sie ein Haus bauen, nehmen Sie auch nicht den günstigsten Anbieter für die Fenster. Sie nehmen den, der noch da ist, wenn Sie eine Reparatur benötigen.“
Im Anschluss an seinen Impulsvortrag diskutierte Christoph Stoller mit Prof. Dr. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Tiemo Wölken, Mitglied des Europäischen Parlaments. Einigkeit herrschte in dem Punkt, dass es für die öffentliche Beschaffung von Arzneimitteln europäische Leitlinien brauche. Diese sollten Empfehlungen für die Mitgliedstaaten enthalten, was bei der Auftragsvergabe an Hersteller zu beachten sei. „Die Vergabe sollte auf dem Prinzip des wirtschaftlich günstigsten Angebots basieren“, sagte Wölken. „Es muss um ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gehen. Ziel kann nur sein, ein ausgewogenes Angebot zu erlangen.“ Broich verwies darauf, dass gemeinsame Leitlinien wichtig seien. Um Engpässen langfristig zu begegnen, müssten diese aber national übersetzt werden.
Im zweiten Block der Digitalkonferenz, die neben der Live-Übertagung aus Berlin auch virtuelle Begegnungsorte für alle Teilnehmenden und eine Beteiligung an den Diskussionsrunden durch die Einsendung von Fragen bot, stand das Thema „Balance von Bezahlbarkeit und Zugang zu Arzneimitteln“ im Mittelpunkt. Bei einer Abstimmung im Publikum sprachen sich 67 Prozent dafür aus, dass neben dem Preis auch der Nachweis robuster Lieferketten eine Rolle spielen sollten.
Was Patient:innen von Krankenkassen und Herstellern erwarten, verdeutlichte der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe Dr. Martin Danner: „Wenn es um die Versorgung geht, ist es zunächst einmal wichtig, dass der Zugang sichergestellt wird. Optimal wäre es aber, man könnte einerseits die Kosten niedrig halten und gleichzeitig den Zugang für alle Patient:innen gewährleisten.“
Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes diskutierten Dr. Artur Cwiok, Europa-Präsident Mylan und Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER. „Die Zukunft wird davon abhängen, wie die Akteure in Europa die aktuellen Probleme angehen. Eine pharmazeutische Strategie der EU zu haben, die den Weg in die Zukunft aufzeigt, ist ein guter Anfang, und wir hoffen, dass diese sehr bald veröffentlicht wird. Wir müssen erkennen, dass Europa nicht unabhängig von anderen Regionen operieren kann“, so Cwiok.
Der Kostendruck, der durch Rabattverträge auf den Arzneimittelherstellern lastet, ist nach Ansicht von Kassen-Chef Straub nicht die Ursache, warum die Produktion inzwischen vielfach in China und anderen asiatischen Staaten angesiedelt ist. Der Kritik, dass die Kassen bei der Vergabe von Rabattverträgen nur auf den Preis schauten, begegnete er mit dem Hinweis, dass die Kassen bereits auf belastbare Lieferketten achteten. Abschließend erklärte er: „Ich unterstütze die Rückverlagerung der Produktion von wichtigen Wirkstoffen nach Europa.“
Im dritten und finalen Block lag der Fokus auf der Stärkung Europas als Produktionsstandort und der Frage, wie eine europäische (Industrie-)Politik die Versorgungssicherheit verbessern kann.
Dazu stellte der Geschäftsführer der Unternehmensberatung MundiCare, Dr. Andreas Meiser, eine von Pro Generika beauftragte Studie vor, die zeigt, wo auf der Welt und in Europa aktuell Wirkstoffe produziert werden. Meiser betonte in der Präsentation der Analyse „Woher kommen unsere Wirkstoffe? Eine Weltkarte der API-Produktion“ das Ausmaß der Abwanderung der Produktion Richtung Asien. „Die europäische Versorgung ist heute in hohem Maße abhängig – von nur wenigen Wirkstoffherstellern in sehr kleinen Teilen der Welt.
Das birgt Risiken für die Versorgung. Gleichzeit sehen wir auch das Potenzial der europäischen Wirkstoffproduktion. Rund ein Drittel der Zulassungen liegt noch in Europa“, erklärte Meiser. Als Auslöser für die Abwanderung gab Meiser den enormen Kostendruck bei der Beschaffung an. Die Frage sei nicht, ob konkret Rabattverträge für die Abwanderung verantwortlich seien. Vielmehr sei es der allgemeine Kostendruck, der aber nun mal im deutschen System maßgeblich durch Rabattverträge verursacht werde.
Ana Marti vom spanischen Wirkstoffhersteller Medichem war als Vertreterin der europäischen Wirkstoffhersteller eingeladen. Sie unterstrich das Potenzial ihrer Branche in Europa. Und sie gab an, in der Produktion noch freie Kapazitäten zu haben. „Wir Wirkstoffhersteller brauchen vor allem mehr regulatorische Flexibilität“, sagte Marti. Gerade wenn es um die Genehmigung von Produktionsanlagen gehe, seien andere Weltregionen sehr viel schneller und einfacher. Das sei einer der Gründe, warum ein Großteil der Wirkstoffherstellung nach Asien abgewandert sei. „Und wir brauchen auskömmliche Preise“, sagte sie weiter. „Nur so können wir langfristig wettbewerbsfähig sein.“
Mit Blick auf die Bestrebungen der Politik, die europäische Arzneimittelproduktion zu stärken, forderte Dr. Christian Pawlu, Global Head of Strategy, Portfolio and Business Development bei Sandoz International GmbH, vor allem die Relevanz eines echten Wettbewerbs. Sein Unternehmen hatte in diesem Jahr bekanntgegeben, 150 Millionen Euro in den Erhalt des Antibiotika-Werkes in Kundl (Österreich) zu investieren. Sandoz bekommt dafür staatliche Zuschüsse in Höhe von 50 Millionen Euro. Pawlu dazu: „Wir brauchen keine Zombie-Industrie. Staatliche Hilfen seien sinnvoll, wenn sie ein Unternehmen – etwa mit einem Technologie-Upgrade – in die Lage versetzten, wieder voll wettbewerbsfähig zu produzieren. Das aber gehe nur, wenn das Verhältnis zwischen Preisgestaltung und Erstattung langfristig bestehe.“
Einen Ausblick auf die nächsten politischen Schritte gab der EU-Kommissar für den Binnenmarkt Thierry Breton. „Eine groß angelegte Rückverlagerung der Produktion wird es nicht geben“, sagte er. „Aber wir sind in unseren Lieferketten zu abhängig von anderen Ländern und das ist inakzeptabel.“
Im Folgenden müsse geprüft werden, wo Lieferketten korrigiert und diversifiziert werden müssten. Außerdem sei zu schauen, welche kritischen Wirkstoffe wieder verstärkt in Europa produziert werden sollten. Zuvor hatte eine Abstimmung unter den Teilnehmern:innen der Konferenz ergeben, dass es 73 Prozent für angemessen halten, wenn die Politik die europäische Arzneimittelproduktion unterstützt.
Bork Bretthauer, Geschäftsführer Pro Generika lenkte den Blick auf die „Pharmaceutical Strategy“, die die Europäische Kommission noch in diesem Jahr vorstellen will. Gleichzeitig richtete er seinen Appell an die deutsche Politik. „Wir dürfen nicht warten, was Brüssel tut“, sagte Bretthauer. „Versorgungssicherheit ist ein Thema, das nicht warten kann“. Jetzt bräuchte Deutschland Politiker:innen, die den Mut hätten, nach vorne zu gehen. Deutschland hätte gezeigt, dass es gut sei im Management von Lieferengpässen. „Jetzt müssen wir gut werden darin, die Probleme bei den Wurzeln zu packen.“
















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