Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte mit dem ALBVVG und weiteren Maßnahmen die Versorgung mit Generika verbessern. Das Ziel war klar: Keine Lieferengpässe mehr. Hersteller sollten mehr Anreize für eine Produktion in Europa erhalten. Doch was bringen die Änderungen wirklich? Und wie viel ändern die nachträglich verabschiedeten Maßnahmen? Wir machen den Reality-Check!
Maßnahme 1: Kinderarzneimittel dürfen teurer werden
Was wurde beschlossen?
Der Preisdruck durch Festbeträge bei Kinderarzneimitteln wurde durch das ALBVVG gelockert. Die pharmazeutischen Unternehmen können ihre Preise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages bzw. Preismoratoriums-Preises anheben. Es soll in der Zukunft keine Rabattverträge für Kinderarzneimittel mehr geben.
Zudem hat das Gesundheitsministerium eine Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel veröffentlicht, die in der aktuellen Infektionssaison knapp werden können. Diese Medikamente können im Falle eines Versorgungsmangels aus dem Ausland importiert und mit fremdsprachigen Verpackungen und Beipackzetteln bei uns in Verkehr gebracht werden.
Was bringt das?
Die längst überfälligen Preiserhöhungen, soweit sie denn angesichts existierender Rabattverträge überhaupt möglich sind, erlauben den Herstellern gerade mal eine kostendeckende Produktion. Als Anreiz, die Produktion auszubauen bzw. wieder aufzunehmen, sind sie nicht ausreichend.
Der Import von Kinderarzneimitteln, die sich auf einer „Dringlichkeitsliste“ finden, ist allenfalls die kurzfristige Entschärfung eines akuten Problems zu teilweise erheblichen Mehrkosten und gänzlich unsolidarisch gegenüber unseren europäischen Nachbarn.
Fazit:
Guter Ansatz! Leider nicht weitreichend genug, um mehr Hersteller in die Versorgung zu bringen.
Maßnahme 2: Antibiotika-Wirkstoffe sollen in Europa produziert werden
Was wurde beschlossen?
Bei Ausschreibungen eines Antibiotikums müssen die Krankenkassen laut ALBVVG fortan stets auch einem Wirkstoffhersteller im europäischen Wirtschaftsraum den Zuschlag gewähren – sofern es einen gibt. So soll mehr Diversifizierung und weniger Abhängigkeit von Billiganbieterländern wie China entstehen.
Was bringt das?
Zwar gelten die neuen Rabattvertragsregelungen zu den Antibiotika seit Sommer 2023. Doch es dauert Monate bis Jahre, bis neue Rabattverträge ausgeschrieben sind und diese in Kraft treten und Jahre, bis sich ein Effekt zeigt. Bei allen Wirkstoffen, für die es keinen europäischen Hersteller mehr gibt, bleibt alles, wie es ist. Da keine Preiserhöhungen für Antibiotika vorgesehen sind, fehlen Anreize, neue Herstellungsstätten zu errichten.
Außerdem gilt: Auch bei Arzneimitteln wie Blutdrucksenkern und Diabetesmitteln herrscht eine massive Abhängigkeit. Die Vorgabe von mehr Diversifizierung muss daher nicht nur für Antibiotika, sondern für alle Generika gelten.
Fazit:
Gut gemeint, aber die Maßnahmen führen nicht zu mehr Antibiotika-Produktion in Europa.
Maßnahme 3: Auch Krebsmedikamente sollen perspektivisch verstärkt aus Europa kommen
Was wurde beschlossen?
Auch bei Ausschreibungen von ambulant verordneten Krebsmitteln soll künftig mindestens ein Hersteller berücksichtigt werden, der eine europäische Wirkstoffquelle hat. Die Arzneimittel, die das betrifft, sind diese hier.
Was wird das bringen?
Es verändert die Gesamtlage nicht entscheidend. Grund: Die neue Regel umfasst nicht alle Krebsarzneimittel, sondern nur die ambulant verordneten. Die, die im Krankenhausbereich verabreicht werden, sind nicht erfasst.
Den Engpass bei Tamoxifen Anfang 2022 hätte auch diese Regelung nicht verhindert. Hier war nicht die Herkunft des Wirkstoffs das Problem – denn dieser stammt aus Europa – sondern die Tatsache, dass für 8,80 Euro pro Dreimonatspackung kaum noch jemand diese aufwändige Produktion stemmen kann.
Fazit:
Es braucht bessere Bedingungen für alle Krebsmedikamente, um die strukturellen Probleme endlich richtig zu lösen!
Maßnahme 4: Besonders wichtige Arzneimittel, für die Ärzt:innen keinen Ersatz verschreiben können, dürfen teurer werden
Was wurde beschlossen?
Es gibt patentfreie Arzneimittel, für die es keine therapeutische Alternative („Solisten“) gibt, für die auch bei einer Festbetragserhöhung um 50% keine wirtschaftliche Produktion möglich ist. Für diese soll nun in Einzelfällen ein höherer Preis vereinbart werden können. So steht es im § 130a Abs. 3c S. 8ff SGB V.
Was bringt das?
Es ist richtig, für besonders kritische Arzneimittel höhere Preise zuzulassen. Doch diese Einzelfall-Lösung erfordert einen extrem hohen bürokratischen Aufwand. Hersteller müssen ein kompliziertes Verfahren auf sich nehmen, um am Ende die Preise minimal erhöhen zu können.
Fazit:
Vom Procedere zu kompliziert, allenfalls eine Einzelfall-Lösung. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Hersteller die Anforderungen überhaupt erfüllen können.
Das würde wirklich helfen
Keine starren Preisregulierungen für Arzneimittel, die wir dringend brauchen und die engpassgefährdet sind.
Fünf Jahre lang darf es keine Rabattverträge und keine 4G-Regel geben (nach dieser Regel sind Apotheker verpflichtet, eines der vier billigsten Produkte eines Arzneistoffes abzugeben, soweit keine Rabattverträge vorliegen).
Festbeträge und Preismoratoriums-Preis müssen um 50 Prozent oder mehr steigen können, damit eine rentable Produktion möglich ist.
Nur so haben die Hersteller die nötige Planungssicherheit und können in den Ausbau bzw. Wiedereinstieg in die Produktion investieren. Der Markt kann sich erholen und Wettbewerb neu entstehen.
Das Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) soll die Arzneimittel-Knappheit beenden. Doch ist das so? Wir haben Unternehmen gefragt, ob das Gesetz sie dazu befähigt, ihre Produktion hierzulande auszuweiten.