„Generika-Fehler kein zweites Mal machen!“
Wie Generika sind Biosimilars Nachahmerprodukte ehemals patentgeschützter Arzneimittel. Doch anders als bei Generika ist der Produktionsstandort Deutschland bei Biosimilars noch sehr stark.
Prof. Dr. David Francas, Lieferkettenexperte von der Hochschule Worms, und Dr. Jasmina Kirchhoff, Pharma-Expertin am IW Köln, haben untersucht, wie es der Branche geht. Sie warnen vor einer Abwanderungswelle.
Darum geht’s!
Über 50 Prozent der hierzulande zugelassenen Biosimilars werden in Europa produziert. Doch der Know-how-Vorsprung ist inzwischen aufgezehrt, die Produktion wandert zunehmend nach Asien ab.
Die Fehler, die die Politik bei den Generika gemacht habe, dürfe sie nun nicht bei den Biosimilars wiederholen, warnen Prof. Dr. David Francas und Dr. Jasmina Kirchhoff. Zum Beispiel führten zu niedrige Preise zu noch mehr Lieferengpässen.
Sie fordern ein Konzept, das über die Gesundheitspolitik hinausgeht – und den Pharmastandort Deutschland mit der Wirtschaftspolitik und der nationalen Sicherheitsstrategie vereint.
Engpässe bei Generika sind ein Dauerthema. Um Biosimilars ist es ruhiger. Heißt das, hier ist alles gut?
Dr. Jasmina Kirchhoff: In den letzten Monaten ist wirklich viel über Lieferengpässe diskutiert worden und darüber, wie man die generische Produktion zurückholt. Es ist aber, glaube ich, nicht bei allen angekommen, dass im Bereich der biopharmazeutischen Arzneimittel gerade der Generika-Fehler zum zweiten Mal gemacht wird. Denn: Biopharmazeutika sollen – wie Generika – bald automatisch gegeneinander austauschbar werden können, was exklusiven Rabattverträgen Tür und Tor öffnet und so den Kostendruck zusätzlich erhöhen wird.
Prof. Dr. David Francas: Wir neigen dazu, Themen politisch erst dann anzugehen, wenn es brennt, wie bei den Generika – deshalb gibt es dort jetzt mit dem ALBVVG ein Gesetz, das Lieferengpässen entgegenwirken soll. Bei den Biosimilars brennt es noch nicht. Eine große Sorge ist, dass man deshalb hier eine Entwicklung verpasst, wie es sie vor 20, 30 Jahren bei den Generika gab, nur um sich am Ende zu fragen: Wie bekommen wir die Biosimilar-Produktion nach Deutschland zurück?
Zwei Drittel der Generika-Wirkstoffe werden inzwischen in Asien produziert. Droht bei den Biosimilars ein ähnlicher Exodus?
Dr. Jasmina Kirchhoff: Zunächst muss man sagen: Noch haben wir bei den Biosimilars einen starken Standort. Über 50 Prozent der hierzulande zugelassenen Biosimilars werden in Europa produziert, 3o Prozent davon in Deutschland. Gleichzeitig beobachten wir einen zunehmenden globalen Wettbewerb: Seit 2010 ist der asiatische Anteil an der Produktion von null auf 30 Prozent gestiegen. Andere Länder haben das Potenzial der Biosimilars erkannt – für die eigene Versorgung und für die Ökonomie. Sie fördern die Ansiedlung neuer Standorte entsprechend.
Prof. Dr. David Francas: Ich glaube, wir unterschätzen, wie sehr die europäische biopharmazeutische Produktion von ihrem immensen Know-how-Vorsprung profitiert hat. Der ist aber inzwischen aufgezehrt. Heute sehen wir, dass immer mehr Unternehmen in Asien eine Bandbreite an hochqualitativen Produkten fertigen können.
Er lehrt an der Universität Worms im Fachbereich International Business Administration und gilt als Experte für Logistik und Wirtschaftsmathematik. In seiner Forschung konzentriert sich Francas unter anderem auf die Herausforderung funktionierender Lieferketten und Supply Chain Management.
Sie ist Projektleiterin für „Pharmastandort Deutschland“ am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Seit 2009 forscht sie dort im Themencluster „Staat, Steuern und Soziale Sicherung“. In ihrer Promotion untersuchte sie nationale Innovationssysteme in Transformationsländern.
Ist die Produktion in Deutschland also einfach zu teuer bzw. braucht es hier staatliche Unterstützung?
Dr. Jasmina Kirchhoff: Dass die Arbeitskosten in Deutschland in der Regel höher sind als in Asien, ist für innovative Branchen nicht grundsätzlich ein Problem, wenn sie über ihre Produktionsstandorte entscheiden. Unternehmen wählen ihren Standort auch danach, wo sie Fachkräfte finden, ob sie sich auf die regulatorischen Rahmenbedingungen verlassen können, ihre Produkte die notwendige Anerkennung erhalten und sie einen guten Absatzmarkt haben. Deshalb wäre ich beim Begriff der staatlichen Unterstützung vorsichtig: Das klingt arg danach, als bräuchte es Subventionen. Darum kann es aber hier nicht gehen. Wir haben Unternehmen, die sind gut in dem, was sie tun. Wichtig ist, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sie auch in Zukunft konkurrenzfähig arbeiten können.
Prof. Dr. David Francas: Subventionen sollten ultimo ratio sein. Ein Beispiel wäre die Forschung an neuen, aber auch die europäische Produktion bestehender Antibiotika. Hier haben wir beinahe ein Marktversagen – in dem Sinne, dass wir keine neuen Antibiotika mehr entwickeln und kaum noch europäische Produktionsstätten für die bestehenden haben. In Sachen Biosimilars ist der Markt noch gesund. Aber für Standortentscheidungen sind die Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Und da muss man sagen: Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir Probleme bei der Digitalisierung, in der Forschungslandschaft, in der immer stärker wahrgenommenen Bürokratie, bei den Energiepreisen.
Dr. Jasmina Kirchhoff: Das ist genau der Punkt. All die genannten Faktoren betreffen alle Branchen. Wir brauchen daher nicht unbedingt ein spezifisches Programm für Biopharmazeutika, sondern Lösungen für die grundsätzlichen Probleme unseres Wirtschaftsstandorts. Zusätzlich müssen wir im Biosimilars-Bereich auch darauf achten, nicht die Fehler zu wiederholen, die wir bei den Generika gemacht haben – indem wir geguckt haben, wie viel günstiger das Ganze noch werden kann durch automatische Substitution, Rabattverträge und Co. Leider muss man sagen, dass die jüngsten Entscheidungen der Politik, die auch bei den Biosimilars zunehmend zu exklusiven Rabattverträgen führen werden, eine Entwicklung in genau diese Richtung bedeuten.
Ihre Studie trägt den Titel: „Wer Reshoring will, muss Offshoring vermeiden.“ Was muss Deutschland tun?
Prof. David Francas: In Deutschland denken wir noch sehr in Teilbereichen. Wir haben die Gesundheitspolitik, in der wir jetzt über Lieferengpässe reden Wir haben die Wirtschaftspolitik. Und wir haben die Sicherheitspolitik, in der wir erstmals eine nationale Sicherheitsstrategie formuliert haben. Die Verbindung dieser drei Teilbereiche fehlt aber bisher. Wir müssen uns fragen: Was können wir beisteuern, um insgesamt ein strategisch wichtiges Industriefeld zu erhalten – und vielleicht perspektivisch zu stärken?
Es braucht ein übergeordnetes Konzept mit einem klaren Ziel?
Prof. David Francas: Wenn man ein solches Konzept in Punkte gießen wollte, wäre der erste: Wir müssen stärker eine europäische Perspektive einnehmen. Reshoring kann nicht national erreicht werden. Zweitens: Wir brauchen eine Strategie, die über das Lösen tagesaktueller Probleme hinausgeht. Dabei benötigen wir eine Verzahnung mit der Wirtschaftspolitik und der nationalen Sicherheitsstrategie. Drittens: Standortstärkungen werden allen Branchen helfen und auch der pharmazeutischen. Viertens: Wir müssen in Deutschland hin zu einer datengestützten Entscheidung, statt häufig auf unser Bauchgefühl zu hören. Und fünftens: Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen Preisen und Lieferengpässen gibt. Zu niedrige Preise sind mit mehr Lieferengpässen assoziiert, was mittlerweile auch im Rahmen des ALBVVG von Seiten der Bundesregierung anerkannt wird. Aus dieser Spirale müssen wir raus – beziehungsweise in diese Spirale sollten wir uns bei den Biosimilars gar nicht erst begeben.
Dr. Jasmina Kirchhoff: Diese fünf Punkte gehe ich voll mit. Was wir oft nicht auf dem Schirm haben, ist die Zeitspanne, die zwischen einer Entscheidung und ihrer Umsetzung vergeht. Nur weil wir jetzt ein Gesetz zur Verbesserung der Versorgungslage ins Leben gerufen haben, wird das nicht innerhalb eines Jahres Effekte zeigen. Auch die Entscheidungen, die jetzt in Unternehmen getroffen werden, sehen wir erst in drei, in fünf, in zehn Jahren. Deswegen schaut man sich die Situation jetzt an und denkt: So schlimm ist es gar nicht, die Firmen produzieren ja hier noch. Dass sich die Welt trotzdem weiterdreht, bemerken wir nicht.
Die Generika-Geschichte vor Augen: Wie viel Zeit haben wir noch, bis das Rad bei den Biosimilars zu weit gedreht ist?
Dr. Jasmina Kirchhoff: Meine Glaskugel verrät mir da nichts. Aber wenn ich mir die Entwicklung anschaue, wie wir sie in unserer Studie aufgezeigt haben, dann sollten wir uns möglichst zeitnah ein gutes Konzept überlegen, um im globalen Wettbewerb weiter mithalten zu können.
Prof. Dr. David Francas: Man kann es empirisch versuchen: Wir können schauen, wie es anderen Branchen hierzulande erging. Die Solarindustrie war innerhalb von zehn, 15 Jahren weg, trotz massiver Subventionen. Bei Branchen mit hohen Fixkosten wie den Generika hat es 20 Jahre gedauert. Ich bin ja ein sehr optimistischer Mensch. Aber mir fehlen die Initiativen, die die Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschlands nachhaltig angehen. Das stimmt mich nachdenklich.
16. August 2023
Biosimilars sind günstige Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika. Sie werden derzeit noch zur Hälfte in Europa produziert. Doch es droht eine Abwanderung wie bei den Generika. Es braucht eine Stärkung der heimischen Produktion, sonst ist die Branche schwer zurückzuholen.
Menschen wie Lynne erhalten gegen ihr Rheuma ein Biopharmazeutikum. Was aber ist das? Wie genau wirkt es? Und warum ist es so wichtig, dass es günstige Nachahmer – also Biosimilars – gibt?