„Versorgungssicherheit, Kostendruck und Globalisierung: Stellt sich Deutschland hinten an?“ Unter diesem Titel fand am 29. November 2019 der 18. Dialog am Mittag in Berlin statt. Die Veranstaltung im Restaurant Dehlers stand ganz unter dem Zeichen der Lieferengpässe. Deren wachsende Zahl, die zunehmende Abhängigkeit der Arzneimittelversorgung von Nicht-EU-Ländern sowie die immer lauter werdenden Forderungen nach einer Stärkung der Produktion in Deutschland und Europa trieben die Teilnehmer dieser sehr lebendigen, kontroversen und zugleich fairen Diskussion um.
Nach einer kurzen Begrüßung von Bork Bretthauer, dem Geschäftsführer von Pro Generika, eröffnete Rebecca Beerheide, Leiterin der Politik-Redaktion des Deutschen Ärzteblattes, die Beiträge auf dem Podium.
Erster Redner war Dr. Simon Goeller, Partner und Generikaexperte bei McKinsey. „Alle Länder haben Lieferprobleme“, sagte Goeller und benannte das in seinen Augen größte Problem: die fehlende Transparenz: „Uns fehlen global gesehen die Informationen darüber, warum Lieferengpässe überhaupt stattfinden.“ Man wisse nur, dass etwas fehle, aber nicht warum. Zudem habe die starke Konzentration im API-Bereich zur Folge, dass viele Generika-Hersteller ihre Wirkstoffe vom selben Anbieter bezögen. Da müsse mehr auf Diversität geachtet werden. Zugleich warnte Goeller davor, den in Asien produzierten Arzneimitteln eine schlechtere Qualität zu unterstellen: „Herkunft hat nichts mit Qualität zu tun.“
Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika und Vorstand der Hexal AG bekräftigte, dass der langjährige Kostendruck zu einer Oligopolisierung der Wirkstoffhersteller geführt habe und nannte die Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen als einen möglichen Ansatz, Engpässen entgegenzuwirken. Späth: „Da viele Hersteller ihre Wirkstoffe nur noch von wenigen Anbietern beziehen, müssen auch unterschiedliche Wirkstoffquellen – am besten von verschiedenen Wirtschaftszonen – mit in die Ausschreibungskriterien der Krankenkassen.“
Für die Apotheker sprach Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin: „Wir Apotheker:innen sind Mangelverwalter geworden und fungieren als Blitzableiter der Engpässe. Gott sei Dank ist das Thema endlich in der Politik angekommen“. Immerhin hätten die Patient:innen inzwischen verstanden, dass es nicht die Schuld der Apotheker:innen sei – und dass das Problem sehr komplex sei. Ihr Vorschlag an die Politik: einheitliche kassenübergreifende Regelungen für die Apotheker:innen.
Oliver Harks, Bereichsleiter Versorgungsmanagement bei der GWQ, stufte das Engpass-Problem als nicht ganz so dramatisch ein wie seine Vorredner:innen. Es habe, so Harks, bislang noch nicht viele versorgungskritische Notlagen im ambulanten Bereich gegeben – anders als im Klinikbereich. Auch setze die GWQ auf das Mehrpartnermodell bei den Ausschreibungen, daher hätte sie eine hohe Liefertreue bei Rabattverträgen.
Als Experte für Vergaberecht widmete sich Dr. Marc Gabriel von Baker & McKenzie der Frage, ob Vorgaben wie Zuschlagskriterien und europäische Standards mit dem Vergaberecht vereinbar wären. Seine kurze Antwort: Ja. Krankenkassen können heute schon europäische Produktionsstätten in Rabattverträgen berücksichtigen. Auch gibt es andere Beschaffungsbereiche wie z.B. in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie, wo dies seit langem gängige Praxis ist.
Auch das Bundesgesundheitsministerium hat das Engpass-Problem laut Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel Medizinprodukte und Biotechnologie, mit hoher Priorität auf der Agenda. Konkrete Maßnahmen aber könne er angesichts der laufenden Verhandlungen noch nicht nennen. Es gäbe aber im BMG Überlegungen, den Standortfaktor der Produktion bei der Vergabe zu berücksichtigen, ebenso wolle man die Transparenz erhöhen sowie die Bundesbehörden stärken und auch für Apotheker:innen die laufenden Prozesse entbürokratisieren, die es ihnen erleichtern, für die Patient:innen Ersatzmedikamente zu besorgen. Auch Müller warnt vor „geographischer Diskriminierung“, zumal dies zur Verunsicherung der Patient:innen führe. „Wir kaufen nicht jeden Schrott aus China.“
Einmal mehr zeigte die Veranstaltung von Pro Generika: Eine einfache Lösung für das Problem der Arzneimittellieferengpässe gibt es nicht. Eine konstruktive und lösungsorientierte Diskussion aber kann durchaus einen Weg aufzeigen, der das Problem vielleicht nicht adhoc löst – es zumindest aber entschärfen kann.






29.11.2018