Das Coronavirus ist für Generika-Unternehmen ein massiver Stresstest. Lieferketten erstrecken sich über den gesamten Globus. Viele Wirkstoffe kommen aus China, wo sich das Virus zuerst verbreitete. Andere stammen aus Indien, wo nunmehr der Lockdown herrscht. Auch in Europa kommt es zu Einschränkungen des Warenverkehrs. Die Branche kämpft an vielen Fronten: Produktionen können unterbrochen und Transportwege versperrt sein, Werksmitarbeiter:innen erkranken.
Seit Wochen stellen sich Generika-Unternehmen den Herausforderungen der Krise. Sie produzieren rund um die Uhr, lenken den Warenverkehr um und suchen in aller Welt nach alternativen Anbietern dringend benötigter Wirkstoffen, um ausgefallene Zulieferer zu kompensieren.
Flexibilität lautet das Gebot der Stunde. Und Einsatz.
„Wir Generika-Firmen sichern knapp 80 Prozent der Arzneimittelversorgung in Deutschland“, sagt Wolfgang Späth, Vorstand bei Sandoz / Hexal in Holzkirchen: „Das aber ist nicht nur eine Zahl. Es ist auch eine hohe Verantwortung. Da sind Patient:innen mit Krebs, Diabetes oder Depressionen, die derzeit in Sorge vor Engpässen sind. Sie alle sollen wissen: Wir tun alles, um unsere Aufgabe auch in dieser Ausnahmesituation zu erfüllen. Ob uns das gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Auch davon, wie lange die derzeitige Krise noch anhält.“
Zuerst wurde die Produktion hochgefahren
In der Produktion herrscht seit Wochen Hochbetrieb. „Der Bedarf an manchen Wirkstoffen ist aktuell dreimal so hoch wie normal“, sagt Christoph Stoller, Geschäftsführer von TEVA/Ratiopharm in Ulm. „Wir haben die Zahl der Schichten und, wo möglich, auch Arbeitszeiten erhöht. Fällt ein Zulieferer aus, suchen wir auf dem Weltmarkt spontan nach anderen Anbietern. Ist einer gefunden, heißt es für uns noch noch, den Wirkstoff schnellstmöglich hierher zu bekommen.“
Bei all dem müssen auch die Produktionsbedingungen massiv angepasst werden: Es gilt, die eigenen Mitarbeiter zu schützen und für Arbeitsabläufe zu sorgen, bei denen eine Ansteckungsgefahr so gering wie möglich ist. Christoph Stoller: „Schichten müssen erhöht werden, dürfen sich aber nicht überlappen. Auch unsere Fahrer müssen wir schützen. So haben wir beispielsweise zwei, die ins Krisengebiet nach Norditalien fahren. Da haben wir die Abläufe so organisiert, dass sie nicht aussteigen und nichts berühren müssen.“
Jetzt geht es vor allem um gute Logistik
Am Anschlag arbeiten in den Firmen auch die Logistiker. Sie haben derzeit mit versperrten Transportwegen, Verzögerungen an den Grenzübergängen und Quarantäne-Anforderungen an die Fahrer zu kämpfen. Dazu kommen Ausfuhrbeschränkungen einzelner Staaten, die Arzneimittel zunächst mal für sich behalten wollen. „Wenn eine Route nicht mehr frei ist, müssen wir andere Wege und Transportmittel finden“, sagt Ingrid Blumenthal, Geschäftsführerin von ALIUD Pharma in Laichingen. „Ist das organisiert, brauchen wir die nötigen Frachtpapiere. Viele Genehmigungsbehörden sind derzeit geschlossen und so wird jede Grenzüberquerung zur Herausforderung. Wir sind sehr froh, dass es noch fast immer gelungen ist, alle Waren ans Ziel zu bringen.“
Das gelingt derzeit oft nur, wenn die Unternehmen wirtschaftliche Erwägungen hintenanstellen. Seit Beginn der Corona-Krise sind nicht nur die Wirkstoffpreise massiv gestiegen. Auch der Transport ist meist deutlich teurer. TEVA / Ratiopharm-Chef Stoller: „Jüngst konnten wir Ibuprofen von einem alternativen Lieferanten aus einer nicht betroffenen Region in China Wirkstoff kaufen. Dabei haben wir uns trotz der deutlich höheren Kosten für Luftfracht anstatt Seefracht entschieden; der Kostenunterschied beträgt 27%. Oberste Priorität hat die Sicherstellung der Lieferversorgung und dementsprechend nehmen wir die höheren Kosten in Kauf.“ Klar ist: Auch die steigenden Preise für Wirkstoffe und Logistik stellen die Hersteller vor eine zusätzliche Herausforderung.
Die Nachfrage steigt, Anforderungen wachsen
Covid-19 verunsichert Laien und auch Expert:innen. Patient:innen haben sich Vorräte angelegt, Ärzt:innen haben Arzneimittel im Voraus verschrieben, Apotheker:innen versuchen, die Lager zu füllen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Wirkstoffen für den intensivmedizinischen Bereich sowie für den Einsatz bei Covid-19. Das betrifft beispielsweise Arzneimittel mit dem Wirkstoff Hydroxychloroquin. Dessen Wirksamkeit bei Covid-19 ist zwar bislang noch nicht durch aussagekräftige Studien belegt, die Nachfrage aber steigt trotzdem.
„Auch wenn dessen Wirksamkeit bislang noch nicht durch aussagekräftige Studien belegt ist, ist die Nachfrage nach Hydroxychloroquin extrem gestiegen“, sagt Dr. Stefan Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Aristo Pharma in Berlin. „Normalerweise importieren wir diesen Wirkstoff. Aber jetzt, wo die Lieferungen aus Indien ausbleiben, bemühen wir uns, ihn bei unserer Schwesterfirma Arevi Pharma in Radebeul bei Dresden selbst zu synthetisieren. Das geht zwar nicht über Nacht, es dauert etwa fünf Monate – aber es geht.“
Unternehmen und Behörden ziehen an einem Strang
Eine Liste der Lieferengpässe wird beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt. Mit diesem wie mit anderen Behörden sind die Hersteller im engen Austausch. „Maximale Transparenz gegenüber den Behörden ist Teil unserer Verantwortung,“, sagt Wolfgang Späth von Hexal. „Deshalb stimmen wir uns sehr eng ab. Alle Beteiligten in Behörden und Industrie verfolgen das gleiche Ziel – und das ist die sichere Versorgung der Patient:innen.“
31.03.2020