
Unsere Abhängigkeit von China bei lebenswichtigen Arzneimitteln ist gefährlich. Sie wird von der Politik seit Jahren benannt und wurde zuletzt von den EU-Gesundheitsminister:innen in einem offenen Brief als „Achillesferse unserer Verteidigungsstrategie“ bezeichnet.
Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, das hat nun ein interdisziplinäres Autor:innenteam untersucht: mit Blick auf die politischen Ambitionen Chinas, etwaige Folgen für unsere Versorgung – und weitere Schäden, die Europa vielleicht gerade noch verhindern kann.
Chinas Aufstieg zum führenden Generika-Produzenten ist kein Zufall. Er ist das Ergebnis strategischer Industriepolitik. Das Land konnte dank milliardenschwerer Förderprogramme und protektionistischer Wirtschaftspolitik nicht nur selbst unabhängig werden, sondern die Abhängigkeit anderer Staaten erwirken.
Ursprünglich wollte China nur die eigene Bevölkerung versorgen und unabhängig vom Ausland werden. Bei den Generika ist dieses Ziel inzwischen erreicht. Auch bei Wirkstoffen, Vorprodukten und Fertigarzneien wurde die globale Dominanz gezielt ausgebaut und zum Mittel geopolitischen Einflusses. Die Mittel, die hierzu geführt haben, sind vielfältig, wie die folgende Übersicht zeigt.
Die wichtigsten Infos, Zitate, Erkenntnisse und Szenarien aus der Studie gibt es zusammengefasst als übersichtliches Factsheet hier zum Download.
Steuererleichterungen für „High-Tech-Unternehmen“
Milliardenschwere Programme für Forschung und Entwicklung – unter anderem 2,8 Milliarden Euro zur Entwicklung eigener Medikamente gegen zehn Volkskrankheiten
Gezielte Marktanreize und Firmenübernahmen im Ausland
Abschirmung des eigenen Binnenmarkts – Zulassungshürden für ausländische Anbieter, Zwang zur Gründung chinesischer Tochtergesellschaften
Günstige Kredite und Kapitalzugang – vor allem für Generikaproduzenten mit strategischer Relevanz (zum Beispiel bei Antibiotika)
Diese Vormachtstellung dient heute als politisches Druckmittel: Um politische Ziele zu erreichen, könnte China Arzneimittel zurückhalten. Oder – mit Rücksicht auf Reputationsschäden – die Ausfuhr von Vorstufen verknappen.
Genau diese Gefahr, die von unserer Abhängigkeit von China ausgeht, hatten die EU-Gesundheitsminister im Blick, als sie sie in einem offenen Brief im Frühling 2025 als „Achillesverse unserer Verteidigungsstrategie“ bezeichneten.

EU Institute for Security Studies
China hat in den vergangenen Jahren vorgeführt, dass es wirtschaftliche Abhängigkeiten als außenpolitisches Druckmittel einsetzt – bei seltenen Erden, Metallen, Rohstoffen oder medizinischer Schutzausrüstung. Die politische Botschaft: Wer sich uns entgegenstellt, riskiert wirtschaftlichen Schaden.
Pharmazeutische Produkte wurden bislang nicht zurückgehalten. Doch Staatsmedien, neue Gesetze und interne Strategiepapiere belegen: Die Möglichkeit eines Exportstopps – etwa bei kritischen Vorprodukten – ist in China kein Tabu, sondern Bestandteil strategischer Überlegungen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua adressierte im Jahr 2020 eine deutliche Drohung in Richtung der USA: „Ein Exportstopp wird euch in die Hölle eines Corona-Virus stürzen.“
Ob China pharmazeutische Abhängigkeiten Europas in Krisen gezielt nutzen würde, ist eine hypothetische Frage – doch die Schwelle zur Instrumentalisierung wirtschaftlicher Abhängigkeiten sinkt. Es lohnt ein Blick auf Szenarien, in denen Arzneimittel bzw. ihre Wirkstoffe oder Vorstufen zur politischen Waffe werden könnte.
China weitet seine Präsenz im südchinesischen Meer rund um Taiwan systematisch aus – auch militärisch. Kommt es zur Eskalation, etwa durch einen Zwischenfall oder gezielte Provokation, droht ein Sanktionsregime durch die EU. Eine denkbare Reaktion: Exportbeschränkungen oder Blockaden bei sensiblen Produkten – einschließlich
Arzneimitteln oder ihrer Vorstufen.
→ Risiko: hoch, insbesondere bei militärischer Eskalation
Ein Handelskonflikt zwischen China, den USA und Europa könnte sich zuspitzen. Sollte Europa chinesische Importe stärker regulieren, könnte China mit Exportrestriktionen reagieren. Pharmazeutische Produkte wären nicht das erste Ziel – könnten aber bei schwindender Hemmschwelle einbezogen werden.
→ Risiko: mittel bis niedrig, steigt mit wachsender Konfrontation
Auch ohne akuten Konflikt könnte China die Abhängigkeit Europas durch diskrete Maßnahmen sichern – etwa durch selektive Drosselung von Vorprodukten, lange Genehmigungsverfahren, „Zufallsausfälle“ oder durch Preisinterventionen auf dem Weltmarkt. Gerade in Reaktion auf europäische Diversifizierungsstrategien wären solche Schritte plausibel.
→ Risiko: signifikant hoch
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist deutlich geworden, wie stark Europa bei Arzneimitteln von China abhängt. Die Abhängigkeit zeigt sich dabei vor allem auf Wirkstoffebene. Sie stammen zum großen Teil aus China, ohne sie ist eine Versorgung nicht möglich. Noch größere Risiken treten zutage, wenn man die Herkunft von Vorstufen und Rohstoffe betrachtet.

Healthcare Supply Chain Institute
Vor allem bei Generika ist die Abhängigkeit von China groß. Das zeigt auch die folgende Grafik: Im Jahr 2000 wurden dort und in Indien noch gut 20 Prozent der weltweiten Generika-Wirkstoffe produziert. Bis 2020 stieg der Wert auf 54 Prozent. Deutlich kleiner fällt der Anstieg in den vergangenen Jahren bei den Biosimilars aus. Und die Lage bei patentgeschützten Biopharmazeutika hat sich von 2010 auf 2022 kaum verändert.

Wie gefährlich es wäre, wenn China als Lieferant plötzlich ausfiele, das zeigt die exemplarische Betrachtung von 56 versorgungskritischen Wirkstoffen – darunter Schmerzmittel, Antibiotika, Diabetes-Medikamente und Biosimilars. Untersucht wurde, wie stark die Abhängigkeit von Wirkstoffen aus China und damit das Kapazitätsrisiko im Falle eines Ausfalls ist.
Außerdem wurde bei einzelnen Wirkstoffen geprüft, wie sehr wir von Vorprodukten aus China abhängen. Diese nämlich sind essentiell nötig, um Wirkstoffe herzustellen. Illustriert wird dies in grafischen Darstellungen dieser sogenannten Stresstests.

Auf der Wirkstoffebene könnte schon der Ausfall eines chinesischen Wirkstoff-Produzenten große Lücken reißen. Das zeigt sich vor allem bei Antibiotika, aber auch bei Antidiabetika. Die Autor:innen sprechen auf dieser Ebene von einem mittleren bis hohem Risiko.
Auf der Vorproduktebene verschärft sich die Lage deutlich. Viele Rohstoffe stammen von wenigen Produzenten – häufig in China. Bei den Vorstufen des Antibiotikums Amoxicillin (6-APA), des Antibiotikums Cefpodixim (7-ACA) und beim Antidiabetikum Metformin (Dicyandiamid) ist das Risiko besonders hoch.
Zwischen den 1970er und den 2000er Jahren wurden die Preise von Generika in diversen Gesetzen immer weiter reguliert und gesenkt. Dass diese Entwicklung den Produktionsstandort Deutschland belastet, zeigt sich am Beispiel der Penicilline: Produzierten im Jahr 2002 noch 21 Hersteller Peniciilline in Deutschland, waren es 2024 nur noch sechs.
Produktionsstandorte für Penicilin in Deutschland 2002 ...
... und 2024
Seit einiger Zeit hat China das Segment der Biopharmazeutika als strategische Schlüsselbranche identifiziert. Bis 2035 will es sich vom reinen Produktionsstandort in eine globale Innovationsmacht verwandeln. Das zeigt das „Made in China 2025“-Programm, das Biopharma als eine Schlüsseltechnologie definiert.
2011–2015
Pharma wird als strategischer Sektor definiert. Das Projekt namens Major New Drug Creation (Förderung von Innovation und Generika-Upgrade) startet.
2016–2030
Der Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln wird als Kernziel ausgerufen. Ein Fokus liegt auf der qualitativen und quantitativen Beschaffung, Qualitäts-Generika sollen bevorzugt werden.
2016–2020
Die Stärkung der Arzneimittelqualität wird als Ziel ausgegeben (Generika-Gleichwertigkeitstests). Innovative Biologika sollen eine beschleunigte Zulassung durchlaufen. Der ICH-Beitritt für globale Standards wird angestrebt.
2015–2025 (Ziele)
Importsubstitution ist das Ziel: 80 Prozent für inländische Firmen für medizinische Geräte – und 70 Prozent für inländische Firmen für biopharmazeutische Kernkomponenten.
2021–2025
Lieferketten- und Versorgungssicherheit; Ausbau biopharmazeutischer Innovation; mehr Pharma-Firmen von Weltrang; nachhaltige Produktion.
Auch der 14. Fünfjahresplan (2021–2025) priorisiert die Biotechnologie als strategischen Wachstumsbereich. Abwegig ist dieses Ziel nicht, eine Etappe auf dem Weg dorthin ist nämlich schon erreicht: Bereits heute übertrifft die Zahl chinesischer Biopharma-Patente jene aus Deutschland deutlich. Um das zu erreichen, setzt China auch hier auf gezielte Förderung. Und das, während Deutschland die Produktion biopharmazeutischer Arzneimitteln durch neue Sparmaßnahmen (der Gleichsetzung von Biosimilars mit Generika) zusätzlich schwächt. Gut zu sehen ist dies in der folgenden Grafik, die darstellt, wie China seine Patent-Aktivitäten in den vergangenen Jahren ausgebaut hat. Eine große Rolle spielen dabei: Biopharmazeutika.
Das hat auch Auswirkungen auf den nicht-patentgeschützten Bereich. Wurden bis Anfang der 2010er Jahre für Europa bestimmte biosimilare Wirkstoffe ausschließlich in Europa produziert, wird heute bereits über ein Drittel der Wirkstoffe, die für die Herstellung der in Europa zugelassenen Biosimilars benötigt werden, in Asien hergestellt.
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