
20.10.2025 / Unsere Abhängigkeit von chinesischen Wirkstofflieferungen ist bekannt – doch wie groß ist das Risiko wirklich? Eine neue Studie liefert erstmals konkrete Antworten: Ein Stresstest exemplarischer Wirkstoffe zeigt, wo ein Exportstopp besonders weh tun würde. Öffentliche chinesische Dokumente machen deutlich, wie real diese Gefahr ist – und wie gezielt China seine strategische Position ausbaut.
Wie hoch Europas Abhängigkeit ist – das zeigt ein Stresstest für 56 versorgungskritische Wirkstoffe: Ein Stopp chinesischer Lieferungen würde signifikante Lücken reißen, bei 20 von 56 untersuchten Wirkstoffen ist der Anteil chinesischer Hersteller so hoch, dass die Versorgung in Gefahr wäre. Besonders betroffen sind Antibiotika sowie Diabetes- bzw. Schmerzmittel.
Aus staatlichen chinesischen Quellen (u. a. Fünfjahrespläne) geht hervor, dass die Marktführerschaft in der Generika-Produktion die Folge strategischer Industriepolitik ist. Interne Debatten zeigen: Die Instrumentalisierung wirtschaftlicher Abhängigkeiten ist möglich. Exportstopps wurden etwa bei seltenen Erden als politisches Druckmittel genutzt. Ein direkter Stopp von Fertigarzneien wäre reputationsschädigend, doch Vorprodukte könnten ein Hebel sein. Europas jahrzehntelange Sparpolitik bei Generika hat zur Abwanderung aus Europa geführt – und China bei der Entwicklung zum Marktführer geholfen.
Zwar werden noch 51 Prozent der Biosimilars (biopharmazeutische Nachahmer) in Europa produziert. Doch Asien holt massiv auf. Bis 2035 will China auch bei Biopharmazeutika Marktführer sein – und ist auf dem besten Weg, globaler Innovationsmotor in der Arzneimittelentwicklung zu werden. Schon heute meldet die Pharmaindustrie Chinas deutlich mehr Patente in diesem Bereich an als ihre europäische Konkurrenz. Zusätzlicher Preisdruck hierzulande würde den deutschen Entwicklungs- und Produktionsstandort weiter schwächen.
„Die Analyse macht das Unbehagen messbar: Mehr als ein Drittel der Wirkstoffe im Risiko – das ist kein Bauchgefühl, das ist ein Befund. Die Politik muss endlich aufhören zu reden und stattdessen handeln. Sie darf nicht zulassen, dass wir genau so enden wie beim russischen Gas. Denn die Folgen unsere Abhängigkeit wären hier fataler. Schließlich geht es um lebenswichtige Medikamente.“
Dr. Tim Rühlig (EU Institute for Security Studies), Dr. Jasmina Kirchhoff (Institut der deutschen Wirtschaft), Martin Catarata (Sinolytics GmbH) und Prof. Dr. David Francas (Healthcare Supply Chain Institute, Hochschule Worms) beleuchten unsere Abhängigkeit von China, insbesondere bei generischen Arzneimitteln, aus zwei Perspektiven: Zum einen wird der Pharmastandort Europa aus der europäischen und deutschen Perspektive betrachtet – unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln, der ökonomischen Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der hiesigen Pharmaindustrie sowie der Rahmenbedingungen, die durch gesetzgeberische Maßnahmen der letzten Jahrzehnte geprägt wurden. Zum anderen wird die chinesische Perspektive eingenommen: Inwieweit ist die heute zu beobachtende Stärke Chinas das Ergebnis einer zielgerichteten Politik? Ob China diese Stärke in einem geo-politischen Konflikt auch einsetzen könnte, wird auf der Grundlage chinesischer Originalquellen mithilfe von Risikoszenarien diskutiert.
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