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Was bringt das Lie­fer­eng­pass-Gesetz ALBVVG?

Lee­re Apo­the­ken­re­ga­le, besorg­te Eltern, ver­zwei­fel­te Pati­en­ten: Vor einem Jahr trat das ALBVVG in Kraft, um den Medi­ka­men­ten-Man­gel zu besei­ti­gen. Die Inten­ti­on des Gesund­heits­mi­nis­ters Karl Lauterbach:

Her­stel­ler ent­las­ten, Prei­se erhö­hen und die Pro­duk­ti­on zurück nach Euro­pa holen. Doch ist das auf­ge­gan­gen? Zeit für eine Bilanz — und den Blick Rich­tung Herbst und Winter.

Die wich­tigs­ten Fra­gen und Antworten 


Aus Sicht der Politik

Was bedeu­tet ALBVVG?

ALBVVG steht für Arz­nei­mit­tel-Lie­fer­eng­pass­be­kämp­fungs- und Ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz (ALBVVG). Im Bun­des­ge­setz­blatt heißt es „Gesetz zur Bekämp­fung von Lie­fer­eng­päs­sen bei patent­frei­en Arz­nei­mit­teln und zur Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung mit Kin­der­arz­nei­mit­teln“. Es trat am 27. Juli 2023 in Kraft.

Was steht im ALBVVG?

Das ALBVVG ist das ers­te Gesetz, das Gene­ri­ka-Her­stel­ler expli­zit ent­las­ten soll. Es soll einer „Über­öko­no­mi­sie­rung“ gegen­steu­ern, wie Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach 2022 fest­stell­te. Die wich­tigs­ten drei Ände­run­gen sind:

1) Kin­der­arz­nei­mit­tel dür­fen teu­rer werden

Der Preis­druck durch Fest­be­trä­ge bei Kin­der­arz­nei­mit­teln wur­de durch das ALBVVG gelo­ckert. Die phar­ma­zeu­ti­schen Unter­neh­men kön­nen für alle Medi­ka­men­te, die auf die­ser Lis­te ste­hen, ihre Prei­se ein­ma­lig um bis zu 50 Pro­zent des zuletzt gel­ten­den Fest­be­tra­ges bzw. Preis­mo­ra­to­ri­ums-Prei­ses anhe­ben. Es soll in der Zukunft kei­ne Rabatt­ver­trä­ge für Kin­der­arz­nei­mit­tel mehr geben.

2) Anti­bio­ti­ka-Wirk­stof­fe sol­len in Euro­pa pro­du­ziert werden

Bei Aus­schrei­bun­gen eines Anti­bio­ti­kums müs­sen die Kran­ken­kas­sen laut ALBVVG fort­an stets auch einem Wirk­stoff­her­stel­ler im euro­päi­schen Wirt­schafts­raum den Zuschlag gewäh­ren – sofern es einen gibt. So soll mehr Diver­si­fi­zie­rung und weni­ger Abhän­gig­keit von Bil­lig-Anbie­ter-Län­dern wie Chi­na entstehen.

3) Auch Krebs­me­di­ka­men­te sol­len per­spek­ti­visch ver­stärkt aus Euro­pa kommen

Bei Aus­schrei­bun­gen ande­rer Medi­ka­men­te – dar­un­ter auch die Krebs­mit­tel, die ambu­lant abge­ge­ben wer­den – soll künf­tig min­des­tens ein Her­stel­ler berück­sich­tigt wer­den, der eine euro­päi­sche Wirk­stoff­quel­le hat. Die Lis­te der betref­fen­den Medi­ka­men­te fin­det sich hier.

War­um wur­de das ALBVVG erlassen?

Das ALBVVG soll den Kos­ten­druck auf Gene­ri­ka lockern, der in den letz­ten Jah­ren ver­stärkt zu Lie­fer­eng­päs­sen geführt hat. Sicht­bar wur­de das Pro­blem, als zu Beginn des Jah­res 2022 das Brust­krebs­mit­tel Tam­oxi­fen knapp zu wer­den droh­te. Kur­ze Zeit spä­ter – als auch Kin­der­me­di­ka­men­te und Anti­bio­ti­ka fehl­ten – zwang dies Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach zum Handeln.

Er räum­te ein, dass die jah­re­lan­ge „Über-Öko­no­mi­sie­rung“ bei patent­frei­en Medi­ka­men­ten (= Gene­ri­ka) für die Eng­päs­se ver­ant­wort­lich ist. Mit dem Arz­nei­mit­tel-Lie­fer­eng­pass­be­kämp­fungs- und Ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz (ALBVVG) wol­le die Poli­tik des­halb Anrei­ze set­zen, damit wie­der mehr Her­stel­ler Medi­ka­men­te pro­du­zie­ren. In Kür­ze wer­de es in Deutsch­land wie­der Anti­bio­ti­ka- und Krebs­mit­tel­fa­bri­ken geben., Das nahm er zumin­dest an, als er 2023 in der Bun­des­pres­se­kon­fe­renz bzw. in der ARD-Sen­dung „Bericht aus Ber­lin“ dazu befragt wurde.

Für wel­che Medi­ka­men­te gilt das ALBVVG?

Das ALBVVG ent­hält Rege­lun­gen für Kin­der­arz­nei­mit­tel, Anti­bio­ti­ka und in Arzt­pra­xen ambu­lant ein­ge­setz­te Krebs­me­di­ka­men­te. Die­se Medi­ka­men­ten­grup­pen machen zusam­men rund ein Pro­zent aller Arz­nei­mit­tel aus. Bei allen ande­ren Medi­ka­men­ten (z.B. gegen Schmer­zen, Dia­be­tes oder Blut­hoch­druck) ist alles so geblie­ben, wie es vor dem ALBVVG war.

Was bringt Vor­rats­la­ge­rung bei Medikamenten?

Das ALBVVG ver­pflich­tet Unter­neh­men dazu, vor Abschluss eines Rabatt­ver­tra­ges einen Sechs-Monats-Vor­rat des betref­fen­den Arz­nei­mit­tels bereit­zu­hal­ten. Die­se Rege­lung aber ver­är­gert unse­re euro­päi­schen Nach­barn, weil es bei ihnen Medi­ka­men­te abzieht und zu Eng­päs­sen führt.

Außer­dem erhöht sie den Druck auf die Unter­neh­men. In den von Eng­päs­sen betrof­fe­nen Märk­ten haben die Her­stel­ler bereits Pro­ble­me, den aku­ten Bedarf zu decken. Nun müs­sen sie auch noch enor­me Vor­rä­te anle­gen, außer­dem wer­den Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten gebun­den, auf deren fle­xi­ble Ver­füg­bar­keit es im Fal­le eines aku­ten Eng­pas­ses ankäme.

In einer inter­nen Befra­gung der Mit­glie­der von Pro Gene­ri­ka gaben 78 Pro­zent der Befrag­ten an, sich wegen der Ver­pflich­tung zur Vor­rats­la­ge­rung aus Märk­ten zurück­zu­zie­hen. 60 Pro­zent gaben an, wegen der zusätz­li­chen finan­zi­el­len Belas­tung Inves­ti­tio­nen zurückzustellen.

Was bringt das Früh­warn­sys­tem, das im ALBVVG steht? 

Das Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM) soll laut ALBVVG ein Früh­warn­sys­tem ent­wi­ckeln, das Knapp­hei­ten anhand bestimm­ter Kri­te­ri­en recht­zei­tig erkennt. Indi­zi­en und Signa­le für zukünf­ti­ge und ent­ste­hen­de Eng­päs­se sol­len recht­zei­tig erkannt und aus­ge­wer­tet wer­den bevor sie auf­tre­ten. Bis das Sys­tem funk­tio­niert, dau­ert es. 2026 sol­len ers­te Tei­le starten.

Sind die Aus­ga­ben für Medi­ka­men­te seit dem ALBVVG gestiegen?

Die Aus­ga­ben für Arz­nei­mit­tel stei­gen seit Jah­ren, aber das hat nichts mit dem ALBVVG zu tun. Denn: Die Kos­ten­stei­ge­run­gen, über die seit Jah­ren geklagt wird, ent­fal­len aus­schließ­lich auf patent­ge­schütz­te Arzneimittel.

Fakt ist: Gene­ri­ka decken 80 Pro­zent der ambu­lan­ten Ver­sor­gung ab für 8 Pro­zent der Kos­ten, die Kran­ken­kas­sen an phar­ma­zeu­ti­sche Her­stel­ler auf­wen­den. Gleich­zei­tig stei­gen die Kos­ten für patent­ge­schütz­te Arz­nei­mit­tel immer wei­ter an – wäh­rend deren Anteil an der Ver­sor­gung sogar abnimmt und mit 2,7 Pro­zent ins­ge­samt schon sehr gering ist.

Und so kann auch das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um stei­gen­de Aus­ga­ben als Fol­ge des ALBVVG nicht bestä­ti­gen. Vor des­sen Inkraft­tre­ten hat­te es des­sen Kos­ten auf min­des­tens 135 Mil­lio­nen Euro geschätzt, ein Jahr danach aber kann es kei­ne kon­kre­ten Zah­len nen­nen. In der Ant­wort auf eine Klei­ne Anfra­ge der CDU/C­SU-Frak­ti­on gab es an, kei­ne Kennt­nis dar­über zu haben.

Die Effek­te des ALBVVG sind gering!

Her­stel­ler konn­ten ihre Pro­duk­tio­nen nicht ausweiten.

Anti­bio­ti­ka-Fabri­ken sind nicht enstanden.

Es gibt nicht mehr Kin­der­arz­nei­mit­tel als in den Jah­ren zuvor.

Ursa­chen wie die des Doxy­cy­clin-Eng­pas­ses wur­den nicht beseitigt.

Die Lage bei Krebs­mit­teln wie Tam­oxi­fen hat sich nicht entspannt

Die wich­tigs­ten Fra­gen und Antworten 


Aus Sicht der Patient:innen

Gibt es durch das ALBVVG weni­ger Lieferengpässe?

Nein. Die Zahl der beim BfArM gemel­de­ten Lie­fer­eng­päs­se ist unver­än­dert hoch. Die offi­zi­el­le Sei­te des BfArM gibt hier einen Überblick.

War­um tre­ten trotz ALBVVG immer wie­der Eng­päs­se auf?

Das ALBVVG ent­hält für 99 Pro­zent der Arz­nei­mit­tel kei­ne Rege­lung. Bei Medi­ka­men­ten gegen Blut­hoch­druck, Schmer­zen oder Dia­be­tes hat sich an den Rah­men­be­din­gun­gen nichts ver­än­dert. Hier wer­den die Zuschlä­ge wei­ter­hin an die Unter­neh­men ver­ge­ben, die den güns­tigs­ten Preis bie­ten. Des­halb ist es nicht ver­wun­der­lich, dass es wei­ter­hin zu Eng­päs­sen kommt.

Auch bei den Medi­ka­men­ten, die vom ALBVVG erfasst sind, sind die Effek­te über­schau­bar. Weder bei Kin­der­arz­nei­mit­teln noch bei Anti­bio­ti­ka oder Krebs­mit­teln kom­men ent­schei­den­de Erleich­te­run­gen bei den Her­stel­lern an – wes­we­gen auch die­se regel­mä­ßig knapp wer­den bzw. es jeder­zeit wer­den können.

Hat sich durch das ALBVVG die Lage bei Kin­der­me­di­ka­men­ten entspannt?

Die dra­ma­ti­schen Eng­päs­se der Sai­son 2022/23 haben sich im Jahr dar­auf nicht wie­der­holt. Das lag aber dar­an, dass die Her­stel­ler bis zum Anschlag pro­du­ziert haben. Das ALBVVG hat dazu geführt, dass die­se Pro­duk­ti­on, sofern die Rabatt­ver­trä­ge nicht noch am Lau­fen sind, nun­mehr kein Ver­lust­ge­schäft mehr ist. Mehr aber hat es nicht bewir­ken können. 

Schlech­ter Neben­ef­fekt der Rege­lung: Für eini­ge Her­stel­ler von Kin­der­me­di­ka­men­ten ver­schärf­te das ALBVVG sogar die Lage: Sie waren durch die Reform nicht bes­ser, son­dern schlech­ter gestellt als zuvor. Denn bereits bestehen­de Rege­lun­gen machen die geplan­ten posi­ti­ven Effek­te der Preis­er­hö­hung zuwei­len wie­der zunich­te. In der Ant­wort auf eine Klei­ne Anfra­ge der CDU/C­SU-Frak­ti­on räumt das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um ein, dass eini­ge Her­stel­ler durch das ALBVVG zusätz­lich belas­tet wür­den, obwohl das „Anti-Lie­fer­eng­pass-Gesetz“ doch eigent­lich das Gegen­teil bewir­ken soll­te. In einem sepa­ra­ten Brief hat­te das BMG die­sen Her­stel­lern ange­bo­ten, den recht­li­chen Zustand VOR dem Gesetz wie­der­her­zu­stel­len und somit die Aus­wir­kun­gen des ALBVGG außer Kraft zu setzen. 

Wird es wie­der zu Lie­fer­eng­päs­sen bei dem Brust­krebs­mit­tel Tam­oxi­fen kommen?

An den schlech­ten Rah­men­be­din­gun­gen für Tam­oxi­fen hat sich seit dem Eng­pass nichts geän­dert. Nach wie vor erhal­ten die Her­stel­ler für die Drei­mo­nats­pa­ckung die­ser lebens­wich­ti­gen Krebs­the­ra­pie nur 8,80 Euro. Und nach wie vor schlie­ßen die Kran­ken­kas­sen über die­sen Wirk­stoff Rabatt­ver­trä­ge ab, um die­sen Preis noch zusätz­lich abzusenken.

Zwar fällt Tam­oxi­fen unter die onko­lo­gi­schen Wirk­stof­fe, bei denen ein Anbie­ter mit euro­päi­scher Wirk­stoff­quel­le berück­sich­tigt wer­den muss. Die­se Rege­lung aber greift ins Lee­re – denn auch bis­lang bezo­gen vie­le Anbie­ter ihren Krebs-Wirk­stoff aus Euro­pa. Am rui­nö­sen Preis­ni­veau hat das ALBVVG hin­ge­gen nichts verändert.

Im Gegen­teil: Eine Emp­feh­lung des Bun­des­in­sti­tu­tes für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM), den Preis von Tam­oxi­fen zu erhö­hen, hat das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um bis­lang abge­lehnt.

Wer­den sich Eng­päs­se wie bei Doxy­cy­clin wiederholen?

Davon ist aus­zu­ge­hen, denn das ALBVVG geht nicht an die Ursa­che des Engpasses.

Die­se liegt im absurd nied­ri­gen Preis von 42 Cent pro 10er-Packung. Weil das Arz­nei­mit­tel so güns­tig ist, gibt es nicht mehr vie­le Her­stel­ler, die es noch pro­du­zie­ren kön­nen und wol­len. Nur noch zwei von ehe­mals 40 Her­stel­lern brin­gen der­zeit die­ses wich­ti­ge Anti­bio­ti­kum auf den Markt.

Zwar muss bei Doxy­cy­clin fort­an ein euro­päi­scher Wirk­stoff­her­stel­ler berück­sich­tigt wer­den. Das aber bringt in die­sem Fall nichts: Seit Inkraft­tre­ten des ALBVVG wur­de der Wirk­stoff zwei­mal aus­ge­schrie­ben, aber es wur­de kein Her­stel­ler mit euro­päi­scher Wirk­stoff­quel­le bezuschlagt.

“Ich bau kein Werk, weil…”

Das Lie­fer­eng­pass-Gesetz (ALBVVG) soll die Arz­nei­mit­tel-Knapp­heit been­den. Doch ist das so? Wir haben Unter­neh­men gefragt, ob das Gesetz sie dazu befä­higt, ihre Pro­duk­ti­on hier­zu­lan­de auszuweiten.

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Die wich­tigs­ten Fra­gen und Antworten 


Aus Sicht der Hersteller

Wer­den jetzt neue Wer­ke gebaut, die Gene­ri­ka produzieren?

Im Sep­tem­ber 2024 hat­te Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach in der ARD-Sen­dung „Bericht aus Ber­lin“ (ab Minu­te 23) ange­deu­tet, Unter­neh­men wür­den neue Wer­ke für die Gene­ri­ka-Pro­duk­ti­on bau­en. Das ist nach Kennt­nis von Pro Gene­ri­ka der­zeit nicht der Fall. Eine inter­ne Befra­gung unter den Mit­glieds­un­ter­neh­men hat erge­ben: Kei­ner der Befrag­ten plant, neue Wer­ke zu errich­ten. Der Grund: Die Anrei­ze feh­len. Wor­an es genau hapert, erklä­ren drei Gene­ri­ka-Her­stel­ler hier.

Auch das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um hat offen­bar kei­ne Kennt­nis davon, dass der­zeit neue Fabri­ken ent­ste­hen. In der Ant­wort auf eine Klei­ne Anfra­ge der CDU/C­SU-Frak­ti­on vom Sep­tem­ber 2024 führt es ledig­lich den Aus­bau des Anti­bio­ti­ka-Wer­kes der Fir­ma San­doz in Kundl an. Die­ser aber wur­de vom öster­rei­chi­schen Staat unter­stützt, und zwar bereits im Jahr 2020. Es ist also kein Effekt des ALBVVG.

Was brin­gen die neu­en Rege­lun­gen für Krebsmittel?

Im Nach­gang zum ALBVVG hat das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um eine Lis­te mit (mehr­heit­lich onko­lo­gi­schen, gegen Krebs wir­ken­den) Wirk­stof­fen ver­öf­fent­licht – bei Aus­schrei­bun­gen sol­len die­sel­ben Regeln gel­ten wie bei Anti­bio­ti­ka. Sprich: Wo immer mög­lich, soll ein Her­stel­ler mit euro­päi­scher Wirk­stoff­quel­le berück­sich­tigt werden.

Die­se Rege­lung aber hat eine allen­falls begrenz­te Durch­schlags­kraft. Denn: Sie umfasst nur die ambu­lant, also in der Arzt­pra­xis, ver­ord­ne­ten Krebs­mit­tel. Che­mo­the­ra­pien aber – wie auch der Groß­teil der ande­ren Krebs­mit­tel – wer­den im Kran­ken­haus ver­ab­reicht. Dort gel­ten die Rege­lun­gen des ALBVVG nicht. Außer­dem passt sie als Lösung nicht zum Pro­blem. Denn vie­le Krebs­mit­tel wer­den bereits in Euro­pa pro­du­ziert. Grund für die Eng­päs­se sind die Rah­men­be­din­gun­gen und das rui­nö­se Preis­ni­veau – nicht die Her­kunft der Wirkstoffe.

Eine Befra­gung der Mit­glie­der von Pro Gene­ri­ka ergab, dass nie­mand auf Basis des ALBVVG mit einem Aus­bau der Krebs­mit­tel-Pro­duk­ti­on rech­net. So sei die EU-Los­ver­ga­be kein geeig­ne­tes Mit­tel, Inves­ti­tio­nen attrak­tiv zu machen und die Ver­sor­gung zu ver­bes­sern. Viel­mehr bräuch­ten die Unter­neh­men bes­se­re Erstat­tungs­grund­la­gen für die­se Pro­duk­te und mehr Planungssicherheit.

Wer­den jetzt mehr Anti­bio­ti­ka in Euro­pa produziert?

Bei Aus­schrei­bun­gen eines Anti­bio­ti­kums müs­sen die Kran­ken­kas­sen laut ALBVVG fort­an stets auch einem Wirk­stoff­her­stel­ler im euro­päi­schen Wirt­schafts­raum den Zuschlag gewäh­ren – sofern es einen gibt. So soll mehr Diver­si­fi­zie­rung und weni­ger Abhän­gig­keit von Bil­lig-Anbie­ter-Län­dern wie Chi­na entstehen.

Die­se Rege­lung ist vom Ansatz her rich­tig. Doch ihre Durch­schlags­kraft ist gering. Denn für vie­le Anti­bio­ti­ka-Wirk­stof­fe gibt über­haupt kei­nen euro­päi­schen Her­stel­ler mehr. Und außer­dem dau­ert es Mona­te, bis neue Rabatt­ver­trä­ge aus­ge­schrie­ben sind und die­se in Kraft tre­ten – und Jah­re, bis sich ein Effekt zei­gen kann.

Wenn also das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um in der Ant­wort auf eine Klei­ne Anfra­ge der CDU/C­SU-Frak­ti­on schreibt, dass „die ers­ten Aus­schrei­bun­gen nach den Vor­schrif­ten des Arz­nei­mit­tel-Lie­fer­eng­pass­be­kämp­fungs- und Ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­set­zes (ALBVVG) aus­ge­schrie­ben und bezu­schlagt wer­den“ konn­ten, ist das rich­tig – aber ange­sichts der gerin­gen Men­ge noch kein gro­ßer Erfolg.

Seit Inkraft­tre­ten des ALBVVG sind ers­te Aus­schrei­bun­gen bezug­schlagt wor­den. Bei etwa einem Drit­tel gin­gen Zuschlä­ge an Her­stel­ler mit einer euro­päi­schen Wirk­stoff­quel­le. Ob es nen­nens­wert mehr wer­den, bleibt abzu­war­ten. (Stand 30.9.2024)

Stellt das ALBVVG einen Anreiz dar, in die Pro­duk­ti­on von Anti­bio­ti­ka-Wirk­stof­fen einzusteigen?

Nein, denn eine Inves­ti­ti­on lohnt sich kaum.

Denn: Anti­bio­ti­ka sind Cent-Arti­kel. So erhält etwa ein Her­stel­ler für die 10er-Packung des der­zeit knap­pen Anti­bio­ti­kums Doxy­cy­clin nur 42 Cent. Ent­spre­chend nied­rig ist der Preis, der für den Wirk­stoff erzielt wer­den kann. Ein Anti­bio­ti­ka-Werk aber zu bau­en, kos­tet rund 150 bis 200 Mil­lio­nen Euro. Selbst für einen eta­blier­ten Her­stel­ler wie Euro­A­PI, der jah­re­lang Anti­bio­ti­ka in Deutsch­land pro­du­ziert hat, kos­te­te es noch 80 bis 150 Mil­lio­nen, die­se Pro­duk­ti­on wie­der auf­zu­neh­men, wie Ex-CEO Pierre Hal­ler in unse­rem Inter­view verrät.

Bei einer inter­nen Befra­gung der Pro Gene­ri­ka-Mit­glieds­un­ter­neh­men ging kei­ner der Befrag­ten davon aus, dass es auf Basis der neu­en Aus­schrei­bungs­form des ALBBVG zu einer Aus­wei­tung der Anti­bio­ti­ka-Pro­duk­ti­on in Euro­pa kommt. Dafür fehl­ten Anrei­ze und Pla­nungs­si­cher­heit. Zudem stel­le die ver­pflich­ten­de Lager­hal­tung von sechs Mona­ten, die das ALBVVG ver­fügt hat, eine zusätz­li­che finan­zi­el­le Belas­tung dar, die den Markt noch unat­trak­ti­ver mache.

Führt das ALBVVG zu einer Rück­ver­la­ge­rung der Gene­ri­ka-Pro­duk­ti­on nach Europa?

Nein. Dafür feh­len die Anrei­ze. Eine Ent­las­tung der Her­stel­ler von Kin­der­me­di­ka­men­ten hat allen­falls dazu geführt, dass die Pro­duk­ti­on kein Ver­lust­ge­schäft mehr ist. Bei Anti­bio­ti­ka und Krebs­mit­teln stel­len die im ALBVVG ver­füg­ten Maß­nah­men kei­nen Anreiz dar, in den Bau von euro­päi­schen Wer­ken zu inves­tie­ren. Und die Ver­pflich­tung zu einer sechs­mo­na­ti­gen Lager­hal­tung hat die finan­zi­el­le Situa­ti­on für die Her­stel­ler noch zusätz­lich verschärft.

Lesen Sie hier, war­um drei Geschäfts­füh­rer gro­ßer Gene­ri­ka-Unter­neh­men in Deutsch­land nicht auf den Aus­bau ihrer Wer­ke setzen.

Was muss pas­sie­ren, damit Her­stel­ler wie­der mehr in Euro­pa produzieren?

Eine „Rück­ver­la­ge­rung“ der Gene­ri­ka-Pro­duk­ti­on ist wenig rea­lis­tisch. Mög­lich aber wäre — wenn auch nicht kurz­fris­tig — mehr Unab­hän­gig­keit bei kri­ti­schen Wirkstoffen.

Dafür müss­te die Poli­tik erwir­ken, dass die Kran­ken­kas­sen ihre Zuschlä­ge nicht län­ger nach dem „Haupt­sa­che-Bil­lig-Prin­zip“ ver­ge­ben. Der­zeit geht es den Kas­sen nur dar­um, den nied­rigs­ten Preis zu erzie­len. Das aber begüns­tigt chi­ne­si­sche Her­stel­ler und ver­hin­dert jede Inves­ti­ti­on euro­päi­scher Unter­neh­men in mehr Liefersicherheit.

Will die Poli­tik gezielt Pro­duk­ti­ons­an­la­gen in Euro­pa aus­bau­en, brau­chen die Unter­neh­men ange­sichts des nied­ri­gen Erstat­tungs­ni­veaus die Unter­stüt­zung der Poli­tik. Die­se kann sich in kon­kre­ten Inves­ti­ti­ons­zu­schüs­sen zei­gen. Eine Blau­pau­se kann die Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Öster­rei­chi­schen Regie­rung und San­doz sein. San­doz hat 200 Mil­lio­nen in den Aus­bau sei­ner Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on in Kundl inves­tiert und wur­de vom Staat dabei mit 50 Mil­lio­nen Euro unter­stützt. Dafür hat sich das Unter­neh­men ver­pflich­tet, zehn Jah­re lang die Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on für ganz Euro­pa sicherzustellen.

Das braucht es jetzt!

Anrei­ze für mehr Produktion

Für kri­ti­sche Medi­ka­men­te muss gel­ten: Aus­set­zung der Rabatt­ver­trä­ge und Preis­er­hö­hung um 50 Pro­zent — für die Dau­er von fünf Jahren. 

Diver­si­fi­zie­rung von Lieferketten

In Rabatt­ver­trä­gen muss ste­hen, dass immer auch ein Teil euro­päi­scher Her­stel­ler zum Zuge kom­men muss. 

Inves­ti­ti­ons­för­de­run­gen von Produktionsstätten

Aus­bau und Neu­an­sied­lun­gen müs­sen unter­stützt wer­den: Dafür kön­nen sich Unter­neh­men ver­pflich­ten für den euro­päi­schen Markt zu produzieren. 

War­um sind unse­re Anti­bio­ti­ka knapp?

In unse­ren Apo­the­ken sind Anti­bio­ti­ka zur Man­gel­wa­re gewor­den. Wor­an liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine mul­ti­me­dia­le Spu­ren­su­che mit Welt­kar­te — die­se zeigt, wo die wich­tigs­ten Anti­bio­ti­ka pro­du­ziert werden.

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Antibiotika-Spezial