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“Gesund­heit ist eine geo­stra­te­gi­sche Waffe”

War­um die Ver­sor­gung mit Arz­nei­mit­teln Teil unse­rer natio­na­len Sicher­heit sind

In Zei­ten geo­po­li­ti­scher Poly­kri­sen und begin­nen­der Han­dels­krie­ge sind wir in Deutsch­land mas­siv abhän­gig von Chi­na. Und zwar bei lebens­wich­ti­gen Medi­ka­men­ten. Im Inter­view erklärt Andre­as Burk­hardt, Vor­sit­zen­der von Pro Gene­ri­ka, was das in der sich ver­än­dern­den Welt für unse­re Sicher­heit bedeu­ten, wie die neue Bun­des­re­gie­rung jetzt am bes­ten gegen­steu­ert und wel­che Rol­le er für Gene­ri­ka-Unter­neh­men dabei sieht.

Dar­um geht’s!

Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung ist nicht mehr nur Sache der Gesund­heits­po­li­tik. Es geht um die unse­re natio­na­le Sicherheit.

Denn: Die Abhän­gig­keit Euro­pas von Chi­na ist rie­sig. Es besteht die Gefahr, dass wir zwi­schen den sich neu for­mie­ren­den Macht­blö­cken zer­rie­ben werden. 

Neh­men wir hin, dass die euro­päi­sche Gene­ri­ka-Pro­duk­ti­on wei­ter auf Ver­schleiß fährt und Chi­na davon pro­fi­tiert, ist das kurz­sich­tig und verantwortungslos.

Es braucht mehr Resi­li­enz, mehr Diver­si­fi­zie­rung und mehr euro­päi­sche Unabhängigkeit.

Als Vor­sit­zen­der von Pro Gene­ri­ka: Was muss der neue Gesund­heits­mi­nis­ter aus Sicht der Gene­ri­ka-Bran­che tun, sobald er sich sor­tiert hat?

Andre­as Burk­hardt: Gut wäre, er wür­de die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus ande­ren Minis­te­ri­en anru­fen. Die Ver­sor­gung der Men­schen in Deutsch­land mit Arz­nei­mit­teln ist nicht mehr bloß ein gesund­heits­po­li­ti­sches The­ma. In Zei­ten, in denen sich die Macht­ver­hält­nis­se auf der Welt ver­schie­ben und offe­ne Han­dels­krie­ge geführt wer­den, ist die Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung auch ein sicher­heits­po­li­ti­sches The­ma gewor­den. Es braucht eine res­sort­über­grei­fen­de Stra­te­gie für die Grund­ver­sor­gung, die übri­gens auch die Wirt­schafts- und Umwelt­po­li­tik einschließt.

Die neue Regie­rung muss unse­re Ver­tei­di­gung stär­ken, die Wirt­schaft in Gang brin­gen und die gesell­schaft­li­che Spal­tung über­win­den. Ist nicht die Arz­nei­mit­tel-Knapp­heit ihr kleins­tes Problem?

Andre­as Burk­hardt: Das Pro­blem sind nicht nur die Eng­päs­se, die wir jeden Tag in der Apo­the­ke erle­ben. Das Pro­blem ist, dass wir – ähn­lich wie es beim rus­si­schen Gas der Fall war – bei lebens­wich­ti­gen Arz­nei­mit­teln in ganz erheb­li­chem Maße abhän­gig von Chi­na sind. Das ist ein Staat mit einem kom­plett ande­rem Wer­te­sys­tem mit geo­stra­te­gi­schen Ambi­tio­nen, der unse­re Abhän­gig­keit aus öko­no­mi­scher Sicht bewusst vor­an­ge­trie­ben hat und sie nun poli­tisch aus­nut­zen könn­te. Schon wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie hat das Euro­pa-Par­la­ment die öffent­li­che Gesund­heit als geo­stra­te­gi­sche Waf­fe bezeich­net, die einen Kon­ti­nent in die Knie zwin­gen kann. Und in einem offe­nen Brief bezeich­ne­ten die EU-Gesund­heits­mi­nis­ter zuletzt die Medi­ka­men­ten-Abhän­gig­keit von Chi­na als „Achil­les­fer­se unse­rer Verteidigungsstrategie.“

Als jemand, der poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung trägt, soll­te man sich fra­gen: Neh­me ich es in Kauf, dass die Men­schen im Deutsch­land im Zwei­fel zu Scha­den kom­men? Das ist eine gro­ße Ver­ant­wor­tung und eine staats­po­li­ti­sche Entscheidung.

Zur Per­son

Andre­as Burk­hardt ist seit fast 20 Jah­ren bei Teva in ver­schie­de­nen lei­ten­den Funk­tio­nen tätig. Im Novem­ber 2021 wur­de er als Gene­ral Mana­ger Deutsch­land und Öster­reich ernannt. Er ist zudem Vor­stands­vor­sit­zen­der des Bran­chen­ver­ban­des Pro Generika.

Was wäre ein sinn­vol­ler ers­ter Schritt, den die Poli­tik gehen müsste?

Andre­as Burk­hardt: Sie muss ent­schei­den, bei wel­chen Arz­nei­mit­teln wir aut­ark sein wol­len und auf uns zukom­men mit der Fra­ge: Was braucht ihr für mehr De-Ris­king in euren Lieferketten?

Hat sich mit die­ser Fra­ge noch kein Ver­ant­wort­li­cher bei Ihnen gemeldet?

Andre­as Burk­hardt: Nein, nie­mand. Bei mir nicht und auch bei kei­nem ande­ren Her­stel­ler, soweit ich das weiß. Viel­leicht nimmt die Poli­tik unse­re Abhän­gig­keit in Kauf, weil sie glaubt, so Geld zu sparen.

Wie bit­te gewinnt man einen Rabattvertrag?

Vie­le Gene­ri­ka wer­den von den Kran­ken­kas­sen aus­ge­schrie­ben. Her­stel­ler geben ihre Ange­bo­te ab und einer gewinnt. Um wel­che Kri­te­ri­en aber geht’s dabei? Und wel­che Rol­le spie­len sta­bi­le Lie­fer­ket­ten? Das erklärt Teva-Chef Andre­as Burk­hardt hier.

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Inwie­fern?

Andre­as Burk­hardt: Die Gesund­heits­po­li­tik hat ein Sys­tem eta­bliert, in dem der Anbie­ter zum Zuge kommt, der den güns­tigs­ten Preis bie­tet. Das ist kurz­fris­tig gut für die GKV-Finan­zen. Aber es läuft dem zuwi­der, was die Wirt­schafts- und Sicher­heits­po­li­tik will – näm­lich einem star­ken Stand­ort und mehr Unab­hän­gig­keit von Staa­ten wie China. 

Es ist doch so: Euro­päi­sche Wer­ke müs­sen Auf­la­gen erfül­len, die für chi­ne­si­sche Wer­ke nicht gel­ten. Sozi­al­stan­dards, Umwelt­auf­la­gen, Berichts­pflich­ten – all das ist kos­ten­trei­bend für uns und damit ein Wett­be­werbs­vor­teil für chi­ne­si­sche Anbie­ter. Denn die­se kön­nen deut­lich güns­ti­ger sein und haben des­halb in Aus­schrei­bun­gen viel bes­se­re Chan­cen. Solan­ge es nur um den bil­ligs­ten Preis geht, bringt uns der Stand­ort Euro­pa nur Nach­tei­le, aber kei­nen ein­zi­gen Vorteil.

Wie kann sich ein Unter­neh­men wie Teva bei Arz­nei­mit­teln, die nur ein paar Cents kos­ten, über­haupt noch im Wett­be­werb behaupten?

Andre­as Burk­hardt: Indem wir die Lie­fer­ket­ten und Pro­duk­ti­on auf maxi­ma­le Effi­zi­enz trim­men. Das bedeu­tet: Die Inhalts­stof­fe beim bil­ligs­ten Anbie­ter kau­fen, auf ren­ta­ble Pro­duk­te kon­zen­trie­ren und mög­lichst lan­ge auf Maschi­nen pro­du­zie­ren, die abge­schrie­ben sind.

Inves­ti­tio­nen sind nicht möglich?

Andre­as Burk­hardt: Wenn ich inves­tie­re, muss ich höhe­re Prei­se ver­lan­gen. Aber genau das kann ich nicht, denn die­se sind ja festgeschrieben.

Und wenn ein Zulie­fe­rer sei­ne Prei­se erhöht oder eine Maschi­ne kaputt ist?

Andre­as Burk­hardt: Dann muss ich mich ent­schei­den: Inves­tie­re ich in den neu­en Zulie­fe­rer bzw. kau­fe ich eine neue Maschi­ne – oder stel­le ich die Pro­duk­ti­on ein? Inves­ti­tio­nen kann ich nur täti­gen, wenn ich eine Chan­ce auf Re- oder Quer­fi­nan­zie­rung habe. Immer öfter gibt es bei­des nicht mehr und ich muss das Arz­nei­mit­tel aus dem Pro­gramm nehmen.

Teva am Stand­ort Ulm

Teva Deutsch­land gehört zu Teva Phar­maceu­ti­cals, einem Top-20-Phar­ma­un­ter­neh­men, das täg­lich Mil­lio­nen von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten erreicht. Welt­weit stellt Teva mit 37.000 Mit­ar­bei­ten­den mehr als 3.500 ver­schie­de­ne Pro­duk­te in 57 Län­dern her.

In Deutsch­land sind rund 2.900 enga­gier­te Mit­ar­bei­ten­de an den Stand­or­ten in Ulm und Blaubeuren/Weiler tätig. Damit ist Deutsch­land für Teva einer der größ­ten und kom­ple­xes­ten Stand­or­te. Hier wer­den rund 1.800 Medi­ka­men­te aus ver­schie­de­nen The­ra­pie­be­rei­chen her­ge­stellt, dar­un­ter sowohl Gene­ri­ka als auch Biopharmazeutika. 

In Wei­ler befin­det sich außer­dem Euro­pas größ­te Pro­duk­ti­ons­an­la­ge für kon­ser­vie­rungs­mit­tel­freie Nasen­sprays.  In Deutsch­land ist Teva mit den Mar­ken ratio­ph­arm, AbZ und Teva ver­tre­ten. ratio­ph­arm ist dabei Deutsch­lands bekann­tes­te Arz­nei­mit­tel­mar­ke, die Mar­ke AbZ bie­tet ein brei­tes Port­fo­lio preis­wer­ter Qua­li­täts­pro­duk­te und ist einer der güns­tigs­ten Generika-Anbieter.

Es gibt vie­le Ideen, um die Wirt­schaft zu ent­las­ten. Büro­kra­tie-Abbau, gerin­ge Ener­gie­kos­ten, weni­ger Berichts­pflich­ten – wür­de das helfen??

Andre­as Burk­hardt: Natür­lich. Aber es wür­de das Grund­pro­blem nicht lösen. Und das liegt dar­in, dass der Gene­ri­ka-Markt kein frei­er Markt ist. Es gibt kaum noch Anrei­ze für den deut­schen Markt zu pro­du­zie­ren. Des­halb stei­gen immer mehr Her­stel­ler aus – aber so gut wie kei­ne neu­en ein!

Aber wenn die Prei­se stei­gen sol­len, belas­tet das wie­der­um die GKV-Kas­sen. Die­se sind leer, das Defi­zit ist mons­trös hoch

Andre­as Burk­hardt: Ja – wir geben rund 320 Mil­li­ar­den Euro für Gesund­heit aus und trotz­dem reicht es nicht für eine ver­läss­li­che Ver­sor­gung mit Gene­ri­ka. Da ist doch was falsch in der Allo­ka­ti­on der Mit­tel, oder? Im Übri­gen wür­den wir kei­ne Kos­ten­ex­plo­si­on erle­ben, nur weil wir ein paar Gene­ri­ka-Prei­se anhe­ben. Unse­re gesam­te Bran­che setzt mit ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­teln gera­de mal 2,3 Mil­li­ar­den Euro um.

Sie for­dern also kei­ne Milliarden?

Andre­as Burk­hardt: Nein! Im Übri­gen wun­de­re ich mich, dass die Poli­tik akzep­tiert, womög­lich 3,5 % des Brut­to­in­land­pro­duk­tes für Ver­tei­di­gung aus­ge­ben wol­len – aber kei­ne Preis­er­hö­hun­gen bei Cent-Arti­keln zulässt, die uns mehr Unab­hän­gig­keit von Chi­na besche­ren und im Zwei­fel das Leben der Bevöl­ke­rung ret­ten würden.

Was ist ihr Ange­bot als Unter­neh­men an die Politik?

Man muss ja fair sein: Die neue Regie­rung fin­det alte Pro­ble­me vor und die­se sind sogar noch gewach­sen. Wir als Unter­neh­men ste­hen bereit, wenn es dar­um geht, mehr Sicher­heit für die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zu schaf­fen. Gemein­sam mit der Poli­tik wer­den wir trag­fä­hi­ge Lösun­gen fin­den, da bin ich mir sicher. Es braucht einen Start­schuss – dann legen wir los.