Nach einem wichtigen HIV- und PrEP-Medikament sind nun auch die Antibiotika Doxycyclin und Azithromycin im Engpass. Fachleute und Patientenorganisationen sind in Sorge und die Erkältungssaison steht vor der Tür.
Darum geht’s!
Apotheker:innen schätzen, dass sie derzeit die Hälfte der Patient:innen mit den betreffenden Antibiotika nicht versorgen können.
Der Engpass trifft erneut Menschen, die sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert haben.
Hintergrund der Engpässe sind Rahmenbedingungen, die eine verlässliche Versorgung mit lebenswichtigen Arzneimitteln kaum mehr zulassen.
In diesem Sommer sind wieder wichtige Medikamente zur Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten knapp. Betroffen sind die Antibiotika Doxycyclin und Azithromycin. Bereits zu Jahresbeginn war es zu massiven Engpässen bei der Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil – einem wichtigen HIV- und PrEP-Medikament – gekommen.
Das versetzt Ärzt:innen und Apotheker:innen in Unruhe. „Wir können bei beiden Wirkstoffen schätzungsweise nur noch 50 Prozent des Bedarfs decken“, sagt Erik Tenberken, Vorstand der Deutsche Arbeitsgemeinschaft der HIV kompetenten Apotheken (DAHKA) ) in einer Pressemitteilung. Nahezu alle Apotheken seien von Lieferengpässen betroffen. Laut Tenberken liefert aktuell jedoch kein Hersteller in gewohnten Umfang. „Wir zehren von Vorräten und kratzen Restbestände zusammen – lange geht das nicht mehr gut.“
Antibiotika-Engpässe sind keine Überraschung
Für Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, kommen diese Knappheiten nicht überraschend: „Der Engpass bei den HIV-Wirkstoffen zu Jahresbeginn wie auch bei den betreffenden Antibiotika ist symptomatisch für viele andere Engpässe. Über Jahre hinweg haben Rabattverträge die Preise in den Keller gedrückt, was dazu geführt hat, dass die Herstellung für Unternehmen kaum mehr wirtschaftlich ist. Das Ergebnis ist ein oligopolistischer Markt, der anfällig für Störungen ist.“
Bei Kinderarzneimitteln, Antibiotika und Krebsmitteln hat sich die Lage bislang kaum verändert. Das ist das Ergebnis einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion.
Nur noch wenige Hersteller sind am Markt
Tatsächlich scheint die Produktion dieser essentiellen Medikamente für Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich zu sein.
- Lediglich drei Hauptanbieter stemmen die Versorgung mit Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil. Der Hersteller mit dem größten Marktanteil, versorgt 56 Prozent der Patient:innen.
- Beim Antibiotikum Azithromycin sind es zwei Hersteller, die mehr als 80 Prozent des Marktes versorgen.
- Genauso schaut es bei Doxycyclin aus. Hier ist die Anzahle der Hersteller von ehemals 30 Anbietern auf bloß noch zwei in diesem Jahr gesunken.
Das Problem daran: Hat eines dieser drei Unternehmen einen Lieferengpass, können die anderen ihre Produktion nicht im erforderlichen Maße erhöhen. Sie liefern noch eine Weile und laufen dann selber leer.
Antibiotika wie Doxycyclin und Azithromycin kosten oft nur ein paar Cent
Grund dafür, dass nur noch wenige Unternehmen am Markt sind, sind u.a. die niedrigen Preise, die die Unternehmen für sie erzielen. So bringt etwa die 10er-Packung Doxycyclin einem Hersteller nur 42 Cent ein – und darauf muss er in den Rabattverträgen noch massive Nachlässe gewähren.
Dazu Bork Bretthauer: „Der Preisdruck zerstört die Anbietervielfalt. Wo wenige Unternehmen riesige Teile der Versorgung stemmen müssen, herrscht eine große Anfälligkeit für Lieferengpässe. Generika- Hersteller brauchen eine vernünftige ökonomische Grundlage, um im Markt zu bleiben – und diese fehlt oft.“
In unseren Apotheken sind Antibiotika zur Mangelware geworden. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine multimediale Spurensuche mit Weltkarte — diese zeigt, wo die wichtigsten Antibiotika produziert werden.
Die Leidtragenden sind die Patient:innen
Organisationen wie die Ärzt:innen für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin (dagnä), die Deutsche Aidshilfe (DAH) und die Vertretung HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) sehen diese Entwicklung mit Sorge.
„Die Mangelversorgung birgt große Gefahren“, sagt dagnä-Vorstand Dr. Heiko Karcher, der die Mittel in seiner Berliner Schwerpunktpraxis normalerweise täglich verschreibt. Bei einer Syphilis etwa sei Doxycyclin für Penicillin-Allergiker oft die einzige Alternative; bei Chlamydien stelle man sich darauf ein, mit sogenannten Gyrase-Hemmern arbeiten zu müssen, die für schwere Nebenwirkungen bekannt sind. „Die Lieferengpässe erschweren die bestmögliche Behandlung, schränken den ärztlichen Spielraum bei der Therapie unzumutbar ein und gefährden damit das Wohl unserer Patienten“, so Karcher.
In der Verantwortung steht die Politik
Schon beim Engpass des PreP-Medikaments mahnte Stefan Miller, Vorstand der „Deutschen Aidshilfe”: „Dass ein lebenswichtiges Medikament in Deutschland plötzlich nicht mehr verfügbar ist, darf sich nicht wiederholen. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, das zu verhindern.“
Jetzt fordert auch DAH-Vorstandsmitglied Ulf Kristal politische Maßnahmen ein: „Die bisher auf nationaler und europäischer Ebene ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, um die Probleme zu lösen. „Wir brauchen eine Diversifizierung von Lieferketten, eine nachhaltige Stärkung der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen in Europa und wirksame Maßnahmen für eine ausreichende Vorratshaltung“, so Kristal weiter. „Zudem müssen die Mechanismen der Preisgestaltung für Arzneimittel in Deutschland dringend überdacht werden.“
Die aktuellen Zustände seien nicht mehr hinnehmbar, sagt auch dagnä-Vorstand Karcher. „Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf die wirksamste und beste Therapie – es kann nicht sein, dass sie sich mit Notlösungen zufriedengeben müssen.“
Das fordert auch Bretthauer: „Es muss endlich eine Versorgungsstrategie her. Das ALBVVG — also das Gesetz, das Karl Lauterbach gegen die Lieferengpässe bei Arzneimitteln erlassen hat — reicht nicht aus. Es ist ein Mini-Pflaster auf eine klaffende Wunde. Wir brauchen Maßnahmen für alle Patientengruppen – und nicht bloß für einen kleinen Teil.“