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Abwas­ser­richt­li­nie: Was Sie jetzt zu KARL wis­sen sollten!

Die Kom­mu­na­le Abwas­ser­richt­li­nie (KARL) der EU sieht vor, dass vie­le deut­sche KLär­wer­ke um eine so genann­te “vier­te Rei­ni­gungs­stu­fe” aus­ge­baut wer­den sol­len, die Mikro­schad­stof­fe aus dem Abwas­ser fil­tern kann. Bezahlt wer­den soll die­se mehr­heit­lich von Generika-Herstellern. 

Und genau das kann mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf die Medi­ka­men­ten­ver­sor­gung haben. Was bedeu­tet die Richt­li­nie für die Her­stel­lung von Arz­nei­mit­teln? Wel­che Fol­gen hat sie für Gene­ri­ka-Her­stel­ler? Und was bedeu­tet all das für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten? Hier fin­den Sie die wich­tigs­ten Antworten. 

Die wich­tigs­ten Fra­gen und Antworten 


Was ist die neue EU-Abwasserrichtlinie?

Die Kom­mu­na­le Abwas­ser­richt­li­nie (Urban Was­te­wa­ter Tre­at­ment Direc­ti­ve, UWWTD) ist ein neu­es EU-Gesetz, das die Rei­ni­gung von kom­mu­na­lem Abwas­ser regelt. Ein zen­tra­ler Punkt ist der ver­pflich­ten­de Aus­bau vie­ler Klär­wer­ke mit einer vier­ten Rei­ni­gungs­stu­fe, um soge­nann­te Mikro­schad­stof­fe – dar­un­ter auch Rück­stän­de von Arz­nei­mit­teln aus Pati­en­ten­aus­schei­dun­gen – bes­ser zu entfernen.

War­um betrifft die neue Abwas­ser­richt­li­nie die Arzneimittelversorgung?

Die Kos­ten für den Klär­werks­aus­bau sol­len laut EU-Richt­li­nie von der Phar­ma- und Kos­me­tik­in­dus­trie getra­gen wer­den – und das in erheb­li­chem Umfang: Min­des­tens 80 % der Kos­ten müs­sen von den Her­stel­lern über­nom­men wer­den. Da es hier­bei um Men­ge geht, ist die Gene­ri­ka-Indus­trie über­pro­por­tio­nal betrof­fen. Und: Weil Arz­nei­mit­tel-Prei­se in Deutsch­land fest­ge­schrie­ben sind und nicht erhöht wer­den kön­nen, könn­ten die zusätz­li­chen finan­zi­el­len Belas­tun­gen Gene­ri­ka-Her­stel­ler dazu zwin­gen, bestimm­te Medi­ka­men­te vom Markt zu nehmen.

Wel­che Medi­ka­men­te könn­ten vom Markt verschwinden?

Gene­ri­ka machen in Deutsch­land rund 80 % der täg­lich ver­ord­ne­ten Medi­ka­men­te aus. Doch durch die von der EU geplan­te Richt­li­nie zur Abwas­ser­rei­ni­gung dro­hen erheb­li­che Zusatz­kos­ten, die auf­grund der gesetz­lich gede­ckel­ten Prei­se für Gene­ri­ka dazu füh­ren könn­ten, dass bestimm­te lebens­wich­ti­ge Arz­nei­mit­tel nicht mehr wirt­schaft­lich her­stell­bar sind. Laut Berech­nun­gen des Markt­for­schungs­in­sti­tuts IQVIA könn­ten die Prei­se in Deutsch­land für eini­ge Medi­ka­men­te um ein Mehr­fa­ches steigen.

Beson­ders betrof­fen sind:

  • Anti­bio­ti­ka (z. B. Amoxi­cil­lin): Unver­zicht­bar für die Behand­lung bak­te­ri­el­ler Infek­tio­nen, vor allem bei Kin­dern und älte­ren Men­schen. Die Zusatz­kos­ten könn­ten laut IQVIA bis zu 116 % der aktu­el­len Gesamt­aus­ga­ben* für die­ses Medi­ka­ment betragen.
  • Dia­be­tes­me­di­ka­men­te (z. B. Met­formin): Mil­lio­nen von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sind auf die­ses Medi­ka­ment ange­wie­sen. Die erwar­te­ten Kos­ten­stei­ge­run­gen könn­ten bis zu 445 %* betra­gen – also mehr als das Vier­fa­che der bis­he­ri­gen Ausgaben.
  • Schmerz­mit­tel (z. B. Met­ami­zol): Weit ver­brei­tet in der Schmerz­the­ra­pie. Hier könn­ten die Kos­ten laut IQVIA um bis zu 380 %* stei­gen.
  • Medi­ka­men­te für neu­ro­lo­gi­sche Erkran­kun­gen (z. B. Leve­tir­acetam) und zur Behand­lung von Depres­sio­nen (z. B. Citalo­pram): Auch hier ent­ste­hen mas­si­ve Mehr­kos­ten, die Her­stel­ler dazu ver­an­las­sen kön­nen, die­se Medi­ka­men­te nicht mehr anzubieten.

*Die Model­lie­rung wur­de von Medi­ci­nes for Euro­pe und Pro Gene­ri­ka unter Ver­wen­dung des euro­päi­schen IQVIA-Modells und deut­scher GKV-Abrech­nungs­da­ten (INSIGHT Health NVI-KT) durch­ge­führt. Bei der Ana­ly­se wur­den rezept­freie Arz­nei­mit­tel (OTC) und Kli­nik­da­ten nicht berück­sich­tigt. Berech­nun­gen basie­ren auf dem Lis­ten­preis des Her­stel­lers (Her­stel­ler­ab­ga­be­preis HAP).

War­um müs­sen Phar­ma-Unter­neh­men für Klär­wer­ke zahlen?

Die EU-Richt­li­nie basiert auf dem Prin­zip der „erwei­ter­ten Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung“ (Exten­ded Pro­du­cer Respon­si­bi­li­ty, EPR). Das bedeu­tet: Wer ein Pro­dukt her­stellt, das spä­ter als Mikro­schad­stoff im Abwas­ser lan­det, soll auch die Kos­ten für des­sen Besei­ti­gung tragen.

Doch hier gibt es ein Pro­blem: Es geht nicht um Pro­duk­ti­ons­ab­fäl­le der Phar­ma­in­dus­trie – die Her­stel­lung unter­liegt bereits stren­gen Umwelt­auf­la­gen. Viel­mehr stam­men die Arz­nei­mit­tel­rück­stän­de aus­den Aus­schei­dun­gen der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Es gibt zudem kei­ne umwelt­freund­li­che­ren Alter­na­ti­ven für vie­le die­ser Wirkstoffe.

War­um trifft es beson­ders Generika-Hersteller?

Gene­ri­ka sind güns­ti­ge Nach­ah­mer­prä­pa­ra­te, die die brei­te medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung sicher­stel­len. Ihr Preis ist staat­lich regu­liert, sodass Her­stel­ler stei­gen­de Kos­ten nicht ein­fach wei­ter­ge­ben kön­nen. Da sich die Abga­be­ge­bühr für den Klär­werks­aus­bau nach Pro­duk­ti­ons­vo­lu­men rich­tet, sind Gene­ri­ka-Her­stel­ler, die 80% der in Deutsch­land benö­tig­ten rezept­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­tel bereit­stel­len, beson­ders belas­tet – was dazu führt, dass die Pro­duk­ti­on bestimm­ter Medi­ka­men­te nicht mehr ren­ta­bel ist.

Was wird der Aus­bau der Klär­wer­ke um eine vier­te Rei­ni­gungs­stu­fe kosten?

Über die Kos­ten für den Aus­bau der Klär­wer­ke herrscht bis­lang wenig Klar­heit. Laut Schät­zun­gen der EU-Kom­mis­si­on betra­gen sie EU-weit etwa 1,2 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr. Die Kos­ten dürf­ten aber tat­säch­lich deut­lich höher sein.

Ana­ly­sen rea­ler Daten zei­gen, dass sie zwi­schen 5 und 11 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr lie­gen. Allein für Deutsch­land schätzt das Bun­des­um­welt­amt einen Auf­wand in Höhe von rund 1 Mil­li­ar­de Euro pro Jahr. Und dar­in sind die zusätz­li­chen Kos­ten für den Auf­bau der erfor­der­li­chen Ver­wal­tungs­struk­tu­ren und die Bestim­mung der Gefähr­lich­keit und der bio­lo­gi­schen Abbau­bar­keit von Pro­duk­ten nicht enthalten.

Zur Ein­ord­nung: In Deutsch­land setzt die Gene­ri­ka-Indus­trie der­zeit 2,3 Mil­li­ar­den Euro mit ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­teln um.

Wann tritt die kom­mu­na­le Abwas­ser­richt­li­nie (KARL) in Kraft?

Die Richt­li­nie trat am 1. Janu­ar 2025 in Kraft. Die erwei­ter­te Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung, also die finan­zi­el­le Betei­li­gung der Phar­ma­un­ter­neh­men, wird ab dem 1. Janu­ar 2029 verpflichtend.

Wer ist für die Orga­ni­sa­ti­on der Finan­zie­rung zuständig?

Die Finan­zie­rung der vier­ten Rei­ni­gungs­stu­fe soll über eine noch zu schaf­fen­de „Pro­du­cer Respon­si­bi­li­ty Orga­ni­sa­ti­on“ (PRO) erfol­gen. Die­se Orga­ni­sa­ti­on wird die finan­zi­el­len Bei­trä­ge der Phar­ma- und Kos­me­tik­her­stel­ler ver­wal­ten und für die Abde­ckung der Kos­ten sor­gen. Die genaue Struk­tur und Orga­ni­sa­ti­on der PRO ist jedoch noch unklar und wird erst in den kom­men­den Jah­ren defi­niert. Das Pro­blem dabei ist, dass bis­her kei­ne Mecha­nis­men vor­ge­se­hen sind, um sicher­zu­stel­len, dass die­se Finan­zie­rung lang­fris­tig trag­fä­hig ist und nicht zu einer zusätz­li­chen Belas­tung für die Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung führt. Auf­grund der lan­gen Vor­lauf­zei­ten bei der Pro­duk­ti­on von Arz­nei­mit­teln benö­ti­gen die Her­stel­ler aber bald Pla­nungs­si­cher­heit, ob sie bestimm­te Pro­duk­te noch wirt­schaft­lich her­stel­len können.

Wie ist der Zeit­plan für die Umsetzung?

Bis 2027 will die EU-Kom­mis­si­on fest­le­gen, wel­che Sub­stan­zen genau unter die neue Rege­lung fal­len. Gleich­zei­tig müs­sen die Mit­glieds­staa­ten bis 2030 eine Lis­te der betrof­fe­nen Gebie­te erstel­len, in denen die Klär­wer­ke aus­ge­baut wer­den müs­sen. Die Umset­zung erfolgt schritt­wei­se bis 2045.

Wel­che Lösun­gen gibt es?

Um sowohl sau­be­res Was­ser als auch eine sta­bi­le Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung sicher­zu­stel­len, braucht es eine trag­fä­hi­ge Finan­zie­rungs­stra­te­gie. Pro Gene­ri­ka for­dert daher:

• Eine fai­re Kos­ten­ver­tei­lung: Die Finan­zie­rung soll­te – wie bei frü­he­ren Klär­stu­fen – über all­ge­mei­ne Abwas­ser­ge­büh­ren erfol­gen, statt eine Bran­che unver­hält­nis­mä­ßig zu belasten.

• Eine Fol­gen­ab­schät­zung (Impact Assess­ment): Bevor die Rege­lung umge­setzt wird, müs­sen die Aus­wir­kun­gen auf die Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung gründ­lich ana­ly­siert werden.

• Poli­ti­sches Han­deln: Die deut­sche Bun­des­re­gie­rung hat Spiel­raum bei der natio­na­len Umset­zung der Richt­li­nie und soll­te sich in der EU für eine Reform des Finan­zie­rungs­mo­dells einsetzen.

Was bedeu­tet das für die neue Bundesregierung?

Ziel­kon­flik­te wie der zwi­schen sau­be­rem Was­ser und einer sta­bi­len Ver­sor­gung zei­gen sich auch in Deutsch­land immer wie­der. Des­halb muss die neue Bun­des­re­gie­rung end­lich eine Stra­te­gie für die Grund­ver­sor­gung erar­bei­ten. Die­se muss res­sort­über­grei­fend sein und Maß­nah­men der Gesundheits‑, Wirt­schafts- und Umwelt­po­li­tik bün­deln. Ansons­ten bleibt es bei klei­nen Pflas­tern, die im schlech­tes­ten Fall ihre Wir­kung gegen­sei­tig aushebeln.“

War­um kla­gen ein­zel­ne Fir­men gegen die erwei­ter­te Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung bei der UWWTD?

Eini­ge Fir­men kla­gen gegen die Richt­li­nie, weil die finan­zi­el­len Belas­tun­gen  unver­hält­nis­mä­ßig sind und die Kos­ten­ver­tei­lung  auf einer fal­schen Erhe­bung beruht. Der Groß­teil der anfal­len­den Kos­ten soll allein von der Phar­ma- und Kos­me­tik­bran­che getra­gen wer­den, obwohl es vie­le ande­re Ursa­chen für Mikro­schad­stof­fe gibt. Außer­dem wird bemän­gelt, dass die zugrun­de lie­gen­de Fol­gen­ab­schät­zung der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on intrans­pa­rent und unvoll­stän­dig ist, weil nicht berück­sich­tigt wur­de, wel­che Aus­wir­kun­gen sie auf die Ver­sor­gung hat.

War­um kann die erwei­ter­te Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung hier nicht ange­wen­det werden?

Die erwei­ter­te Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung kann nicht ange­wen­det wer­den, weil Arz­nei­mit­tel­rück­stän­de im Abwas­ser durch den Kon­sum und die anschlie­ßen­de Aus­schei­dung ent­ste­hen, was unver­meid­lich ist. Zudem läuft die gewünsch­te Len­kungs­funk­ti­on der Erwei­ter­ten Her­stel­lungs­ver­ant­wor­tung ins Lee­re, da Arz­nei­mit­tel-Rezep­tu­ren nicht geän­dert wer­den kön­nen, ohne dass sie den gesam­ten — sehr auf­wen­di­gen und lang­wie­ri­gen — Zulas­sungs­pro­zess durch­lau­fen. Dann aber han­delt es sich um neue (inno­va­ti­ve) Arz­nei­mit­tel, die wesent­lich teu­rer sind. Dar­über hin­aus gefähr­det die Anwen­dung der erwei­ter­ten Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung die kon­ti­nu­ier­li­che und aus­rei­chen­de Ver­sor­gung mit kri­ti­schen und unent­behr­li­chen Arz­nei­mit­teln, da zusätz­li­che Kos­ten den ohne­hin stark regu­lier­ten und nied­ri­gen Erstat­tungs­prei­sen im Gene­ri­ka­sek­tor gegen­über­ste­hen. Damit wer­den wich­ti­ge Medi­ka­men­te wirt­schaft­lich unren­ta­bel  und müs­sen vom Markt genom­men werden.

Fazit: Was steht auf dem Spiel?

Die neue Abwas­ser­richt­li­nie hat ein wich­ti­ges Ziel – sau­be­res Was­ser. Doch ohne eine klu­ge Finan­zie­rungs­stra­te­gie könn­te sie unbe­ab­sich­tigt die Medi­ka­men­ten­ver­sor­gung in Euro­pa bzw. Deutsch­land gefähr­den. Wenn lebens­wich­ti­ge Arz­nei­mit­tel vom Markt ver­schwin­den, betrifft das alle: Pati­en­tin­nen, Pati­en­ten, Ärz­tin­nen, Ärz­te und das gesam­te Gesundheitssystem.

Des­halb ist jetzt poli­ti­sche Weit­sicht gefragt. Nur mit einer fai­ren und trag­fä­hi­gen Lösung kann sicher­ge­stellt wer­den, dass Zie­le der Umwelt- und Gesund­heits­po­li­tik nicht gegen­ein­an­der aus­ge­spielt werden.

Bork Brett­hau­er
Geschäfts­füh­rer, Pro Generika

Sau­be­res Was­ser ist wich­tig – aber nicht um den Preis einer siche­ren Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung. Wenn Her­stel­ler die mil­li­ar­den­schwe­ren Kos­ten für den Klär­werks­aus­bau allein tra­gen müs­sen, ver­schwin­den essen­zi­el­le Medi­ka­men­te vom Markt.

Die Poli­tik muss drin­gend eine alter­na­ti­ve Finan­zie­rung fin­den – zum Bei­spiel über all­ge­mei­ne Abwas­ser­ge­büh­ren – damit Umwelt- und Gesund­heits­zie­le nicht gegen­ein­an­der aus­ge­spielt werden.

Lie­be neue Regie­rung — so geht mehr Versorgungssicherheit! 

Im Kampf gegen Arz­nei­mit­tel­eng­päs­se scheint guter Rat teu­er. Ist er aber gar nicht. Hier sagen 5 Gene­ri­ka-Her­stel­ler, an wel­chen Schrau­ben eine neue Bun­des­re­gie­rung jetzt dre­hen muss.

 

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