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Arz­nei­mit­tel-Lie­fer­eng­päs­se: Brau­chen wir mehr Pro­duk­ti­on in Europa?

Immer öfter wer­den Arz­nei­mit­tel knapp. Das Pro­blem der Lie­fer­eng­päs­se ist seit Jah­ren ein bren­nen­des Pro­blem, das durch die aktu­el­len glo­ba­len Kri­sen jetzt auch im öffent­li­chen Bewusst­sein ange­kom­men ist. Der Poli­tik ist bewusst, dass bei Gene­ri­ka eine gro­ße Abhän­gig­keit von Asi­en besteht und dass Lie­fer­ket­ten zu stör­an­fäl­lig für eine sta­bi­le Ver­sor­gung sind. Bereits 2020 hat­te sich der ehe­ma­li­ge Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) vor­ge­nom­men, die Pro­duk­ti­on von kri­ti­schen Arz­nei­mit­teln nach Euro­pa zurück zu ver­la­gern. Auch die Ampel-Regie­rung hat 2021 in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­schrie­ben, die Her­stel­lung von Arz­nei­mit­teln inklu­si­ve der Wirk- und Hilfs­stoff­pro­duk­ti­on nach Deutsch­land oder in die EU zurück zu ver­la­gern.

Das poli­ti­sche Ziel lau­tet: Mehr Unab­hän­gig­keit für Europa

Wie rea­lis­tisch aber ist das? Wie kann die Pro­duk­ti­on in Euro­pa gestärkt wer­den? Und was ist der Weg – denn dar­um muss es uns zual­ler­erst gehen – in Rich­tung mehr Versorgungssicherheit?

Es lohnt ein Blick auf die Ursa­chen. Denn die lie­gen in einer Ent­wick­lung, die struk­tu­rell ist und somit nur schwer umkehr­bar scheint. In den ver­gan­ge­nen zwei Jahr­zehn­ten ist es mehr und mehr zu einer Abwan­de­rung der Pro­duk­ti­on nach Asi­en gekom­men. Das betrifft Wirk­stof­fe und zuneh­mend auch Fer­tig­arz­nei­mit­tel. Trei­ber des Pro­zes­ses waren der staat­lich gelenk­te Auf­bau von Indus­trie­pro­duk­ti­on in Chi­na, der stei­gen­de Bedarf nach Arz­nei­mit­teln auch in Asi­en, der Preis- und Kos­ten­druck in natio­na­len Gesund­heits­sys­te­men sowie regu­la­to­ri­sche Auf­la­gen in Deutsch­land z.B. im Bereich Umwelt.

Das Ergeb­nis ist eine hohe Abhän­gig­keit von Indi­en und Chi­na – gera­de bei Wirk­stof­fen und Fer­tig­arz­nei­mit­teln, die häu­fig und in gro­ßen Volu­men benö­tigt wer­den. Die Coro­na-Kri­se hat es gezeigt: Lie­fer­ket­ten sind weit ver­zweigt, hoch­sen­si­bel und anfäl­lig bei Störfällen.

Produktion Medikamente auf der ganzen Welt
Wo kom­men unse­re Wirk­stof­fe her?

Die Pro Gene­ri­ka-Wirk­stoff­stu­die zeigt, wo die in Deutsch­land benö­tig­ten Arz­nei­mit­tel-Wirk­stof­fe pro­du­ziert wer­den und wie stark sich der Markt in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten ver­än­dert hat.

Zur Wirkstoffstudie 

Wird aber die Rück­ver­la­ge­rung der Pro­duk­ti­on nach Euro­pa das Pro­blem lösen und die Abhän­gig­keit beheben?

Die Ant­wort ist ja und nein zugleich. Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: “Die Lage ist kom­plex und es gibt nicht die eine trag­fä­hi­ge Lösung. Mehr „Made in Euro­pe“ kann ein Bau­stein für mehr Ver­sor­gungs­si­cher­heit sein. Eine euro­päi­sche Aut­ar­kie bei der Arz­nei­mit­tel- und Wirk­stoff­pro­duk­ti­on ist nicht rea­lis­tisch. Und vor allem auch nicht erstre­bens­wert. Viel­mehr ist es  wich­tig, nicht nur die hei­mi­sche Pro­duk­ti­on im Blick zu haben. Es muss uns auch vor allem um mehr Resi­li­enz in den Lie­fer­ket­ten gehen.” 

Eine Lösung könn­ten fol­gen­de drei Schrit­te sein:

1) Was wol­len wir hal­ten und aus­bau­en? Stär­kung der exis­tie­ren­den Infrastruktur

Die Covid-19-Kri­se hat gezeigt: Vie­le – etwa auf den Inten­siv­sta­tio­nen benö­tig­te Arz­nei­mit­tel – wer­den in Euro­pa her­ge­stellt. Die Arz­nei­mit­tel- und Wirk­stoff­pro­duk­ti­on in Euro­pa hat sich in der Kri­se als ins­ge­samt robust erwie­sen: Kei­ne Per­son blieb unversorgt.

Pro Gene­ri­ka hat im Jahr 2020 eine Stu­die vor­ge­legt, die erst­mals zeigt, wo wel­che Wirk­stof­fe welt­weit pro­du­ziert wer­den. Die­se kann Grund­la­ge für einen Dis­kurs über den mög­li­chen Aus­bau bestehen­der Wirk­stoff­her­stel­lungs­stät­ten (z.B. in Euro­pa) sein. Gleich­zei­tig brau­chen wir Mecha­nis­men, die Abwan­de­rung und wei­te­re Ero­si­ons­er­schei­nun­gen des Stand­orts Euro­pa aufhalten.

2) Was wol­len wir hier pro­du­zie­ren? Defi­ni­ti­on ver­sor­gungs­kri­ti­scher Wirkstoffe

Die Poli­tik muss fest­le­gen, bei wel­chen ver­sor­gungs­kri­ti­schen Arz­nei­mit­teln und Wirk­stof­fen Euro­pa ein Stück unab­hän­gi­ger wer­den möch­te. Wenn das ein­mal defi­niert ist, ist zu prü­fen, was davon schon hier pro­du­ziert wird und was es braucht, um die ent­spre­chen­den Stand­or­te zu stärken.

3) Was braucht es für sta­bi­le­re Lie­fer­ket­ten? Maß­nah­men zu mehr Diversifizierung 

De-Glo­ba­li­sie­rung löst das Pro­blem nicht. Es muss um De-Ris­king gehen. Dass der über­wie­gen­de Anteil von Wirk­stof­fen und Arz­nei­mit­teln im Aus­land her­ge­stellt wird, ist weni­ger das Pro­blem, als dass sie fast aus­schließ­lich in weni­gen Regio­nen Indi­ens und Chi­nas her­ge­stellt wer­den. Dadurch ent­steht ein Klum­pen­ri­si­ko, das es nun auf­zu­wei­chen gilt.

Gefragt ist jetzt: eine sinn­vol­le Gesamtstrategie!

Für die Stär­kung von Pro­duk­ti­on und Ver­sor­gungs­si­cher­heit braucht es nun­mehr einen umfas­sen­den und lang­fris­tig ange­leg­ten Ansatz. Dabei gilt es, alle Berei­che in den Blick zu neh­men, die struk­tu­rell für das Pro­blem ver­ant­wort­lich sind. Ein­zel­ne Finanz­sprit­zen oder Sub­ven­tio­nen lösen kein Struk­tur­pro­blem. Des­halb ist jetzt wichtig:

  • Nicht nur indus­trie­po­li­tisch den­ken! Die allei­ni­ge finan­zi­el­le Unter­stüt­zung von Pro­duk­ti­on (etwa durch Sub­ven­tio­nen) greift zu kurz, denn sie igno­riert die Nach­fra­ge­sei­te: Wo ein Pro­dukt ist, muss auch ein Abneh­mer sein!
  • Auch die Nach­fra­ge­sei­te in den Blick neh­men! Solan­ge sich die Kran­ken­kas­sen auf den nied­rigs­ten Preis fokus­sie­ren müs­sen, wer­den euro­päi­sche Pro­duk­te nicht wettbewerbsfähiger.
  • Auf regu­la­to­ri­scher Ebe­ne aktiv wer­den! Wer sei­ne Lie­fer­ket­te robus­ter machen will (etwa durch Auf­nah­me eines zwei­ten Wirk­stoff­lie­fe­ran­ten), soll­te das ohne regu­la­to­ri­sche Mehr­kos­ten und gro­ßen regu­la­to­ri­schen Auf­wand tun kön­nen, und auch die Abneh­mer müs­sen den Mehr­auf­wand anerkennen.

Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: “Es braucht ein grund­sätz­li­ches Umden­ken, denn mehr Ver­sor­gungs­si­cher­heit kos­tet auch mehr Geld. Zu lan­ge ging es in der Gesund­heits­po­li­tik nur dar­um, an der Grund­ver­sor­gung zu spa­ren. Immer mehr Effi­zi­enz führ­te zu Abstri­chen bei der Ver­sor­gungs­si­cher­heit. Jetzt brau­chen wir eine neue Balan­ce zwi­schen Effi­zi­enz und Resilienz.

Der Markt muss bereit sein, höhe­re Prei­se zu zah­len. Erst dann wer­den euro­päi­sche Pro­duk­ti­on und resi­li­en­te glo­ba­le Lie­fer­ket­ten auch wett­be­werbs­fä­hig sein. Für sechs Cent pro Tag – so nied­rig sind der­zeit Durch­schnitts­kos­ten für ein Gene­ri­kum – wird mehr Sta­bi­li­tät nicht mach­bar sein.”

Die Mehr­heit der Deut­schen hat das schon lan­ge ver­in­ner­licht. Eine For­sa-Umfra­ge im Auf­trag der Robert-Bosch-Stif­tung hat bereits im Jahr 2020 gezeigt gezeigt, dass 92 Pro­zent der Bundesbürger:innen für mehr Arz­nei­mit­tel­pro­duk­ti­on in Euro­pa auch höhe­re Prei­se in Kauf neh­men. Die gro­ße Mehr­heit im Land hat akzep­tiert: Mehr Ver­sor­gungs­si­cher­heit wird auch mehr Geld kos­ten, denn sta­bi­le­re Lie­fer­ket­ten sind nicht zu haben, solan­ge das Mot­to „Haupt­sa­che bil­lig“ heißt.

Was etwa die Rück­ver­la­ge­rung der Anti­bio­ti­ka-Pro­duk­ti­on nach Euro­pa kos­ten wür­de, hat die Unter­neh­mens­be­ra­tung Roland Ber­ger am Bei­spiel der Cepha­los­po­ri­ne aus­ge­rech­net und Wege auf­ge­zeigt, wie die Pro­duk­ti­on hier­zu­lan­de gestärkt wer­den könn­te. Die Stu­die von 2018 kön­nen Sie hier abru­fen.

Das 1x1 der Generika

Was sind Generika?

Gene­ri­ka sind Nach­ah­mer­pro­duk­te von Arz­nei­mit­teln, die ehe­mals patent­ge­schützt waren. Ist der Patent­schutz abge­lau­fen (i.d.R. nach 20 Jah­ren), dür­fen auch ande­re Her­stel­ler die Arz­nei­mit­tel auf den Markt brin­gen. Die­se sind deut­lich güns­ti­ger als das Original.

Haben Gene­ri­ka den­sel­ben Wirkstoff?

Ja! Die Zulas­sung von Gene­ri­ka durch eine staat­li­che Behör­de ist der amt­li­che Nach­weis, dass es sich bei dem Gene­ri­kum um ein Arz­nei­mit­tel han­delt, das den iden­ti­schen Wirk­stoff und die­sel­be Qua­li­tät hat. 

Haben Gene­ri­ka die­sel­be Qualität?

Für Gene­ri­ka gel­ten die­sel­ben Anfor­de­run­gen an Arz­nei­mit­tel­si­cher­heit und Qua­li­tät wie für alle ande­ren Medi­ka­men­te auch. Deut­sche und euro­päi­sche Vor­schrif­ten regeln die Zulas­sung und legen fest, wie die Prüf­be­hör­den (z.B. EMA, BfArM oder Paul-Ehr­lich-Insti­tut) die Qua­li­tät über­wa­chen müssen.

Wofür gibt es Generika?

Gene­ri­ka machen die Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung bezahl­bar, denn sie sind deut­lich güns­ti­ger als das Ori­gi­nal­pro­dukt. Dank Gene­ri­ka hat jeder Mensch in Deutsch­land Zugang zu der The­ra­pie, die er braucht. Die mas­si­ven Ein­spa­run­gen durch Gene­ri­ka füh­ren zudem dazu, dass die Ver­si­cher­ten­ge­mein­schaft auch teu­re The­ra­pien Ein­zel­ner bezah­len kann.

Wel­che Krank­hei­ten wer­den mit Gene­ri­ka behandelt?

Gene­ri­ka decken in Deutsch­land nahe­zu 79 Pro­zent des gesam­ten Arz­nei­mit­tel­be­darfs ab. Es gibt sie nicht bloß gegen leich­te Erkran­kun­gen wie Nagel­pilz oder Schnup­fen. Vor allem wer­den sie gegen Volks­krank­hei­ten wie Blut­hoch­druck, Dia­be­tes oder Schmer­zen ein­ge­setzt. Auch in der Krebs- oder HIV-The­ra­pie fin­den Gene­ri­ka Anwendung.