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War­um sind immer wie­der Arz­nei­mit­tel knapp? Die wich­tigs­ten Fra­gen und Antworten

Seit Mona­ten wer­den immer wie­der Arz­nei­mit­tel knapp. Die Lis­te ist lang. Es feh­len Anti­bio­ti­ka, Kin­der­arz­nei­mit­tel oder Blutdrucksenker. 

Was die Her­stel­ler gegen die Eng­päs­se bei Medi­ka­men­ten tun, was das ALBVVG bringt und was noch gesche­hen muss, lesen Sie hier.

Wel­che Arz­nei­mit­tel sind der­zeit knapp?

Die Lie­fer­eng­päs­se betref­fen vie­le Arz­nei­mit­tel­grup­pen. Neben Medi­ka­men­ten für Kin­der sind auch Krebs­mit­tel, Blut­druck­sen­ker und Dia­be­tes-Medi­ka­men­te immer wie­der nicht lie­fer­bar. Wel­che Arz­nei­mit­tel der­zeit akut im Eng­pass sind, ent­neh­men Sie bit­te der Lie­fer­eng­pass-Lis­te des BfArM.

War­um kommt es immer wie­der zu Engpässen?

Gene­ri­ka stel­len 80 Pro­zent der Arz­nei­mit­tel dar und machen nur einen mini­ma­len Anteil an den Arz­nei­mit­tel­aus­ga­ben aus. Die­ser beträgt – nach Abzug aller Abschlä­ge und Rabat­te – bloß noch 7 Pro­zent. Das ist ein Miss­ver­hält­nis, des­sen Fol­gen für die Ver­sor­gung spür­bar gewor­den sind.

Eini­ge Wirk­stof­fe sind kaum noch kos­ten­de­ckend zu pro­du­zie­ren (z.B. das Brust­krebs­mit­tel Tam­oxi­fen). Des­halb zie­hen sich immer mehr Her­stel­ler aus der Pro­duk­ti­on zurück. Die weni­gen Unter­neh­men, die noch am Markt sind, müs­sen die­sen Weg­fall dann kom­pen­sie­ren. Kommt es bei einem zum Lie­fer­eng­pass im Pro­duk­ti­ons­pro­zess oder steigt die Nach­fra­ge an, kön­nen sie das nicht aus­glei­chen.

Für eine Ent­span­nung der Lage wäre eine Aus­wei­tung der Kapa­zi­tä­ten not­wen­dig. Uner­läss­lich wäre zudem, dass wie­der mehr Her­stel­ler in die Ver­sor­gung ein­stei­gen. Das aber ist unter den der­zei­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen wirt­schaft­lich nicht mög­lich.

Der Gene­ri­ka-Anteil an der Ver­sor­gung ist in den letz­ten Jah­ren mas­siv gestie­gen, ihr Anteil an den Aus­ga­ben aber gesun­ken:

War­um sind oft Kin­der­arz­nei­mit­tel von Lie­fer­eng­päs­sen betroffen?

Bei Kin­der­arz­nei­mit­teln war der Kos­ten­druck über Jah­re beson­ders hoch. Denn die­se hat­ten bis­lang einen nied­ri­ge­ren Fest­be­trag als Arz­nei­mit­tel für Erwach­se­ne. Kin­der­arz­nei­mit­tel sind in der Regel Säf­te und als sol­che in der Her­stel­lung deut­lich auf­wän­di­ger. Immer mehr Unter­neh­men haben des­halb die Pro­duk­ti­on von Kin­der­arz­nei­mit­tel eingestellt.

War­um kommt es ver­stärkt bei Anti­bio­ti­ka zu Engpässen?

Die Pro­duk­ti­on von Anti­bio­ti­ka ist sehr anspruchs­voll, das Erstat­tungs­ni­veau aber extrem nied­rig. Her­stel­ler erhal­ten oft nur ein paar Cent pro Tages­the­ra­pie­do­sis die­ser oft lebens­ret­ten­den Arz­nei­mit­tel. In der Ver­gan­gen­heit haben sich daher vie­le Unter­neh­men aus der Ver­sor­gung zurück­ge­zo­gen – ein­fach, weil die Pro­duk­ti­on für sie nicht mehr wirt­schaft­lich ist. Infol­ge­des­sen gibt es für eini­ge Anti­bio­ti­ka bloß noch einen oder zwei Anbie­ter. Und hier liegt die Gefahr für die Ver­sor­gung: Kommt es – etwa in der Erkäl­tungs­sai­son – zu erhöh­ter Nach­fra­ge, kom­men die ver­blie­be­nen Her­stel­ler mit der Pro­duk­ti­on oft nicht hinterher.

Was bringt das Lie­fer­eng­pass-Gesetz (ALVBVVG)?

Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach hat­te erkannt, dass die jah­re­lan­ge „Über-Öko­no­mi­sie­rung“ bei Gene­ri­ka für die Eng­päs­se ver­ant­wort­lich ist. Mit dem Arz­nei­mit­tel-Lie­fer­eng­pass­be­kämp­fungs- und Ver­sor­gungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz (ALBVVG) woll­te die Poli­tik des­halb Anrei­ze set­zen, damit wie­der mehr Her­stel­ler Arz­nei­mit­tel pro­du­zie­ren. Seit dem ALBVVG darf es für Kin­der­arz­nei­mit­tel kei­ne Rabatt­ver­trä­ge mehr geben, die Fest­be­trä­ge kön­nen um 50 Pro­zent erhöht wer­den.  Und für Anti­bio­ti­ka sind Maß­nah­men beschlos­sen, die diver­si­fi­zier­te­re Lie­fer­ket­ten erlauben.

Das Pro­blem: Kin­der­arz­nei­mit­tel und Anti­bio­ti­ka machen zusam­men nicht ein­mal 1 Pro­zent der Arz­nei­mit­tel aus. Bei allen ande­ren Arz­nei­mit­teln – also bei Blut­druck­sen­kern, Dia­be­tes­mit­teln oder Anti­de­pres­si­va – bleibt die Situa­ti­on, wie sie ist. 

Das bedeu­tet: Für 99 Pro­zent der Arz­nei­mit­tel das Pro­blem der Lie­fer­eng­päs­se nicht ein­mal angegangen.

Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: „Die Maß­nah­men der Bun­des­re­gie­rung für mehr Ver­sor­gungs­si­cher­heit sind Pflas­ter, kei­ne Stra­te­gie. Denn die gefähr­li­che Sys­tem­lo­gik bleibt bestehen: Nur der bil­ligs­te Anbie­ter erhält in einer Aus­schrei­bung den Zuschlag. Unter­neh­men, die in mehr Lie­fer­si­cher­heit inves­tie­ren, haben das Nach­se­hen. Das ist absurd und muss end­lich geän­dert werden.

Was bringt das ALBVVG für die Ver­sor­gung mit Kinderarzneimitteln? 

Für Kin­der­arz­nei­mit­tel darf es kei­ne neu­en Rabatt­ver­trä­ge mehr geben. Fest­be­trä­ge wer­den um 50 Pro­zent erhöht. Das ermög­licht den Unter­neh­men eine kos­ten­de­cken­de Pro­duk­ti­on — aber mehr auch nicht.

Auf die­se Wei­se hat die Poli­tik die Situa­ti­on bei den Kin­der­arz­nei­mit­teln sta­bi­li­siert. Sie hat ver­hin­dert, dass noch mehr Her­stel­ler aus der Pro­duk­ti­on aus­ge­stie­gen sind. Aber sie hat nicht erreicht, dass wei­te­re Her­stel­ler die Pro­duk­ti­on auf­ge­nom­men haben. Das ALBVVG ent­hält schlicht zu wenig Anrei­ze, als dass Her­stel­ler in den Aus­bau von Pro­duk­ti­ons­stät­ten inves­tie­ren könn­ten. Und nur das wür­de wirk­lich künf­ti­ge Lie­fer­eng­päs­se verhindern.

Ent­ste­hen der­zeit neue Wer­ke, die das Lie­fer­eng­pass-Pro­blem ent­schär­fen werden?

Zuwei­len wird der Ein­druck erweckt dass in Deutsch­land oder in Euro­pa der­zeit neue Wer­ke ent­ste­hen oder Unter­neh­men über­le­gen, sich wie­der in Euro­pa anzu­sie­deln. Das aber ist nicht der Fall.  Inso­fern ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass es in jedem Win­ter wie­der zu Eng­päs­sen bei Kin­der­arz­nei­mit­teln kommt.

Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: „Die Grund­idee des ALBVVG, Her­stel­ler durch Anrei­ze dazu zu brin­gen in der Ver­sor­gung zu blei­ben, ist gut. Es macht aber kei­nen Sinn, das aus­schließ­lich bei Kin­der­arz­nei­mit­teln zu tun.“

Was Gene­ri­ka-Her­stel­ler zu den Effek­ten des ALVVG sagen, lesen Sie hier.

Was bringt die im ALBVVG fixier­te ver­pflich­ten­de Vor­rats­hal­tung von sechs Monaten?

Das ALBVVG ver­pflich­tet Unter­neh­men dazu, vor Abschluss eines Rabatt­ver­tra­ges einen Sechs-Monats-Vor­rat des betref­fen­den Arz­nei­mit­tels bereit­zu­hal­ten.  Das aber ist eine Schein­lö­sung: Klingt gut, bringt aber in Wirk­lich­keit wei­te­re Pro­blem mit sich. Denn: Die neue Rege­lung erhöht den Kos­ten­druck auf die Unter­neh­men, stellt eine enor­me Hür­de für den Ein­stieg in die Ver­sor­gung dar und ist bei Arz­nei­mit­teln, die immer wie­der im Eng­pass sind, gar nicht zu realisieren.

So sind ja vie­le Eng­päs­se die Kon­se­quenz dar­aus, dass es zu weni­ge Her­stel­ler gibt. In den von Eng­päs­sen betrof­fe­nen Märk­ten haben die letz­ten ver­blie­be­nen Unter­neh­men – etwa von Fie­ber­saft oder Anti­bio­ti­ka – bereits Pro­ble­me, die aku­ten Bedar­fe über­haupt zu bedie­nen. Jetzt ver­schärft sich die Lage noch mehr. Denn nun müs­sen die Her­stel­ler auch noch enor­me Vor­rä­te anle­gen, um über­haupt einen Zuschlag in den Aus­schrei­bun­gen zu bekom­men. Zudem wer­den so Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten gebun­den, auf deren fle­xi­ble Ver­füg­bar­keit es im Fal­le eines aku­ten Eng­pas­ses ankäme.

Außer­dem ver­ur­sacht die Vor­rats­hal­tung für die Her­stel­ler wei­te­re Kos­ten. Genau das aber ist kon­tra­pro­duk­tiv. Denn: Das ALBVVG woll­te Unter­neh­men ani­mie­ren, in die Pro­duk­ti­on zurück­zu­keh­ren. Dafür soll­te es Anrei­ze geben. Statt­des­sen erhöht es die Kos­ten, was Unter­neh­mer eher abschreckt als anzieht.

Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: “Kei­ne Lager­hal­le wird je einen Eng­pass ver­hin­dern. Es wird ihn maxi­mal kurz­fris­tig etwas abpuf­fern kön­nen. Her­stel­ler müs­sen in den Aus­bau ihrer Wer­ke inves­tie­ren kön­nen. Märk­te müs­sen so attrak­tiv sein, dass Her­stel­ler hier wie­der inves­tie­ren wol­len. Was die Poli­tik for­cie­ren soll­te, ist mehr Pro­duk­ti­on – und nicht grö­ße­re Lager.“

Was muss die Poli­tik tun, um die Pro­duk­ti­on wich­ti­ger Arz­nei­mit­tel zurück nach Euro­pa zu holen?

Eine „Rück­ver­la­ge­rung“ der Gene­ri­ka-Pro­duk­ti­on ist wenig rea­lis­tisch. Mög­lich aber wäre, mehr Unab­hän­gig­keit bei kri­ti­schen Wirk­stof­fen. Aller­dings: Kurz­fris­tig ist das nicht zu machen. Hier hat Deutsch­land in den letz­ten Jah­ren wert­vol­le Zeit ver­strei­chen las­sen. Wäh­rend die öster­rei­chi­sche Regie­rung den Aus­bau der Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on in Kundl mas­siv unter­stützt hat, ist Deutsch­land untä­tig geblie­ben. Ein Zögern, das sich jetzt rächt – denn der Aus­bau von Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten benö­tigt Jahre.

Das ALBVVG bot die Chan­ce, gene­ri­sche Lie­fer­ket­ten zu diver­si­fi­zie­ren – doch die hat die Poli­tik ver­tan. Ledig­lich bei Anti­bio­ti­ka hat sie vor­ge­schrie­ben, dass euro­päi­sche Wirk­stoff­quel­len zu berück­sich­ti­gen sind. Beim Rest der Gene­ri­ka bleibt alles, wie es ist. Und das, obwohl auch bei Schmerz­mit­teln, Dia­be­tes-Medi­ka­men­ten oder Arz­nei­mit­teln gegen Blut­hoch­druck die Abhän­gig­keit von Chi­na rie­sig ist.

Wenn die Poli­tik die Abhän­gig­keit von Chi­na bei gene­ri­schen Wirk­stof­fen redu­zie­ren will, muss sie erwir­ken, dass die Kran­ken­kas­sen ihre Zuschlä­ge nicht län­ger nach dem „Haupt­sa­che-Bil­lig-Prin­zip“ ver­ge­ben. Der­zeit geht es den Kas­sen nur dar­um, den nied­rigs­ten Preis zu erzie­len. Das aber begüns­tigt chi­ne­si­sche Her­stel­ler und ver­hin­dert jede Inves­ti­ti­on euro­päi­scher Unter­neh­men in mehr Liefersicherheit.

Will die Poli­tik gezielt Pro­duk­ti­ons­an­la­gen in Euro­pa aus­bau­en, brau­chen die Unter­neh­men ange­sichts des nied­ri­gen Erstat­tungs­ni­veaus die Unter­stüt­zung der Poli­tik. Die­se kann sich in kon­kre­ten Inves­ti­ti­ons­zu­schüs­sen zei­gen. Eine Blau­pau­se kann die Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Öster­rei­chi­schen Regie­rung und San­doz sein. San­doz hat 200 Mil­lio­nen in den Aus­bau sei­ner Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on in Kundl inves­tiert und wur­de vom Staat dabei mit 50 Mil­lio­nen Euro unter­stützt. Dafür hat sich das Unter­neh­men ver­pflich­tet, zehn Jah­re lang die Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on für ganz Euro­pa sicherzustellen.

Dazu sagt Bork Brett­hau­er, Geschäfts­füh­rer von Pro Gene­ri­ka: “Wir brau­chen kei­ne Zom­bie­wer­ke in Euro­pa, die dau­er­haft sub­ven­tio­niert wer­den müs­sen. Was wir brau­chen, ist ein Erstat­tungs­sys­tem, das es euro­päi­schen Wer­ken erlaubt, wett­be­werbs­fä­hig zu pro­du­zie­ren und in mehr Lie­fer­si­cher­heit zu investieren.“

War­um wer­den immer mehr Arz­nei­mit­tel in Asi­en produziert?

Seit über 20 Jah­ren ver­schiebt sich die Her­stel­lung von Wirk­stof­fen mas­siv in Rich­tung Asi­en. Das Ver­hält­nis hat sich seit­dem umge­kehrt: Im Jahr 2000 wur­den noch zwei Drit­tel der Wirk­stof­fe in Euro­pa pro­du­ziert. Heu­te stam­men zwei Drit­tel aus Asi­en. Die Hin­ter­grün­de haben wir 2020 in unser „Wirk­stoff­stu­die“ untersucht. 

Chi­na etwa hat früh die Rele­vanz der Wirk­stoff-Pro­duk­ti­on erkannt und ihren Aus­bau stark geför­dert. Durch den grö­ße­ren Pro­duk­ti­ons­um­fang konn­ten chi­ne­si­sche Wer­ke ihre Kos­ten zudem enorm redu­zie­ren. Der Kos­ten­druck auf Gene­ri­ka hier­zu­lan­de hat die Abwan­de­rung noch beschleunigt. 

Denn: Wer eine Aus­schrei­bung der Kran­ken­kas­sen in Deutsch­land gewin­nen möch­te, muss der güns­tigs­te Anbie­ter sein. Ande­re Kri­te­ri­en gibt es nicht. Wer aber der Güns­ti­ge sein will, muss sei­ne Lie­fer­ket­ten und sei­ne Pro­duk­ti­on auf maxi­ma­le Effi­zi­enz trim­men. Oder anders gesagt: Wer eine Aus­schrei­bung gewin­nen und in Deutsch­land Patient:innen ver­sor­gen will — der kann oft­mals nicht anders, als sei­ne Wirk­stof­fe in Asi­en zu beziehen.

Ist es ein Pro­blem für die Lie­fer­si­cher­heit, dass zwei Drit­tel der Wirk­stof­fe in Asi­en pro­du­ziert werden?

Das Pro­blem liegt weni­ger dar­in, dass wir Wirk­stof­fe aus Asi­en bezie­hen. Es liegt viel­mehr dar­in, dass bei eini­gen Arz­nei­mit­teln (z.B. Anti­bio­ti­ka) fast die gesam­ten Wirk­stof­fe aus Asi­en kom­men. Das birgt ein erheb­li­ches Klum­pen­ri­si­ko, das vor allem mit Blick auf Chi­na gro­ße geo­po­li­ti­sche Pro­ble­me mit sich brin­gen kann.

Fakt ist aber auch: Ursa­che der jüngs­ten Eng­päs­se war nicht, dass bestimm­te Wirk­stof­fe nicht aus Chi­na und Indi­en zu uns gelang­ten. So wur­de etwa der Wirk­stoff von Tam­oxi­fen über­wie­gend in Euro­pa her­ge­stellt, als es im ver­gan­ge­nen Jahr zu Eng­päs­sen kam. Auch für den Eng­pass bei Fie­ber­säf­ten war nicht der aus­blei­ben­de Wirk­stoff ver­ant­wort­lich. Viel­mehr waren durch den enor­men Preis­druck zu vie­le Gene­ri­ka-Unter­neh­men aus der Pro­duk­ti­on aus­ge­stie­gen. Die übri­gen, noch ver­blie­be­nen, Her­stel­ler konn­ten die Nach­fra­ge nicht kompensieren.

Die Haupt­ur­sa­che für die aktu­el­len Lie­fer­eng­päs­se sind also nicht die gestör­ten Trans­port­we­ge des Wirk­stoffs – es ist die Tat­sa­che, dass sich zu vie­le Her­stel­ler aus der Pro­duk­ti­on zurück­ge­zo­gen haben und die Ver­blie­be­nen die Ver­sor­gung nicht mehr sta­bil sicher­stel­len können.

Der Preis­druck zer­stört die Anbie­ter­viel­falt. Wo weni­ge Unter­neh­men rie­si­ge Tei­le der Ver­sor­gung stem­men müs­sen, herrscht eine gro­ße Anfäl­lig­keit für Lie­fer­eng­päs­se. Gene­ri­ka-Her­stel­ler brau­chen eine ver­nünf­ti­ge öko­no­mi­sche Grund­la­ge, um im Markt zu blei­ben. Das Pro­blem ist folg­lich nicht unbe­dingt Asi­en, das Pro­blem ist das „Hauptsache-billig“-Prinzip der Kran­ken­kas­sen, das zu gefähr­li­chen Abhän­gig­kei­ten führt und die Ver­sor­gung destabilisiert.

War­um ist die Lage in ande­ren Län­dern EURO­PAS deut­lich bes­ser als hierzulande?

Für eine Beur­tei­lung der Situa­ti­on in ande­ren Län­dern fehlt uns der Über­blick. Dafür müss­ten Sie bit­te bei unse­rem euro­päi­schen Dach­ver­band „medi­ci­nes for Euro­pe“ nach­fra­gen. Es ist aber so, dass die Situa­ti­on in den Nie­der­lan­den und Groß­bri­tan­ni­en ähn­lich deso­lat wie in Deutsch­land – und es sicher kein Zufall ist, dass das bei­des Län­der sind, die eben­falls auf extre­me Tief­prei­se von Gene­ri­ka setzen.

Was muss jetzt passieren?

Es braucht ein atmen­des Preis­sys­tem für Gene­ri­ka. Wenn Unter­neh­men kei­ne Chan­ce haben, höhe­re Her­stell­kos­ten auf­grund ihrer Inves­ti­tio­nen in mehr Lie­fer­si­cher­heit auch von den Kran­ken­kas­sen erstat­tet zu bekom­men, wer­den sie die­se nicht stem­men können.

Das wür­de die Lage stabilisieren:

  1. Anrei­ze für mehr Produktion

Um dau­er­haft wirt­schaft­lich arbei­ten zu kön­nen, müs­sen Unter­neh­men für ihre Arz­nei­mit­tel aus­kömm­li­che Prei­se erzie­len kön­nen. Das ist bis­lang oft nicht der Fall, weil Unter­neh­men kei­ne Mög­lich­keit haben, ihre Prei­se an die gestie­ge­nen Kos­ten anzu­pas­sen. Des­halb müs­sen eng­pass-gefähr­de­te Arz­nei­mit­tel (z.B. Anti­bio­ti­ka) für aus­rei­chend lan­ge Zeit­räu­me (5 Jah­re) von sämt­li­chen Preis­sen­kungs­in­stru­men­ten befreit wer­den. Die Regeln, die das ALBVVG für Kin­der­arz­nei­mit­tel ent­wor­fen hat (Aus­set­zung der Rabatt­ver­trä­ge und Preis­er­hö­hung um 50%) müs­sen auch hier Anwen­dung fin­den.  Nur so wer­den Unter­neh­men ermu­tigt, in die­sem Bereich zu inves­tie­ren und die Pro­duk­ti­on aufrechtzuhalten.

  • Diver­si­fi­zie­rung von Lieferketten

Um Lie­fer­ket­ten glo­bal zu diver­si­fi­zie­ren, mehr Unab­hän­gig­keit von Euro­pa von weni­gen Welt­re­gio­nen zu errei­chen, müs­sen ver­bind­li­che Vor­ga­ben für die Gestal­tung der Lie­fer­ket­ten in allen Rabatt­ver­trä­gen fest­ge­legt wer­den. Das ALBVVG hat das erst­mals für Anti­bio­ti­ka ein­ge­führt, die Kri­te­ri­en aber müs­sen für alle Rabatt­ver­trä­ge über Gene­ri­ka gelten.

  • Inves­ti­ti­ons­för­de­run­gen von Produktionsstätten

Will die Poli­tik aus­drück­lich mehr Pro­duk­ti­on in Euro­pa, brau­chen die Unter­neh­men ange­sichts des nied­ri­gen Erstat­tungs­ni­veaus Unter­stüt­zung. Die­se kann sich in kon­kre­ten Inves­ti­ti­ons­zu­schüs­sen zei­gen. Eine Blau­pau­se etwa kann die Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Öster­rei­chi­schen Regie­rung und San­doz sein. San­doz hat 200 Mil­lio­nen Euro in den Aus­bau sei­ner Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on in Kundl inves­tiert und wur­de vom Staat dabei mit 50 Mil­lio­nen Euro unter­stützt. Dafür hat sich das Unter­neh­men ver­pflich­tet, zehn Jah­re lang die Peni­cil­lin-Pro­duk­ti­on für ganz Euro­pa sicher­zu­stel­len. In Deutsch­land gibt es bis­lang kei­ne ver­gleich­ba­re Initiative.

Bork Brett­hau­er

Geschäfts­füh­rer

„Wenn wir das Eng­pass-Pro­blem end­lich lösen wol­len, wird das Geld kos­ten. Anders kann die Situa­ti­on nicht bes­ser werden.“

War­um kön­nen Gene­ri­ka-Her­stel­ler die Prei­se nicht erhöhen?

Ein Netz aus Kos­ten­spar­in­stru­men­ten hält die Prei­se von Gene­ri­ka seit vie­len Jah­ren im Keller.

  • FEST­BE­TRÄ­GE: Für die meis­ten Gene­ri­ka gibt es einen Fest­be­trag – das ist die maxi­ma­le Sum­me, die die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen dem Her­stel­ler gestat­ten. Hebt ein Her­stel­ler sei­nen Preis über den Fest­be­trag an, müs­sen die Patient:innen die Dif­fe­renz selbst bezahlen.
  • PREIS­MO­RA­TO­RI­UM: Ist für ein Gene­ri­kum kein Fest­be­trag fest­ge­legt, unter­liegt es dem soge­nann­ten Preis­mo­ra­to­ri­um. Dies friert die Prei­se auf dem Niveau von 2009 ein, bzw. fixiert den Preis, mit dem das Arz­nei­mit­tel zu einem spä­te­ren Zeit­punkt auf den Markt gekom­men ist. Hebt nun der Unter­neh­mer sei­nen Preis über die vom Preis­mo­ra­to­ri­um fest­ge­leg­te Preis­gren­ze an, muss er die Dif­fe­renz als Rabatt an die Kran­ken­kas­sen zurückzahlen. 
  • REGEL VON DEN VIER GÜNS­TIGS­TEN: Dar­über hin­aus gibt es – neben zusätz­li­chen gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Rabat­ten —  wei­te­re Preis­re­gu­lie­rungs­me­cha­nis­men, die dafür sor­gen, dass die Prei­se „im Kel­ler“ blei­ben. Eines davon ist die soge­nann­te 4‑G-Regel — juris­tisch gese­hen eine unter­ge­setz­li­che Rege­lung. Sie ver­pflich­tet die Apo­the­ken dazu, stets eines der vier güns­tigs­ten Prä­pa­ra­te abzu­ge­ben, sofern es kei­nen Rabatt­ver­trag gibt. Wer also hier nicht dar­un­ter fällt, wird nicht abgegeben.
  • RABATT­VER­TRÄ­GE: Zu guter Letzt sind es die Rabatt­ver­trä­ge, die das Preis­ni­veau fixie­ren. Hier ver­pflich­ten sich die Her­stel­ler im Rah­men von Aus­schrei­bun­gen, ein bestimm­tes Arz­nei­mit­tel zwei Jah­re lang zu einem ver­ein­bar­ten Preis zu lie­fern. Da die­se Aus­schrei­bung der­je­ni­ge gewinnt, der der Kran­ken­kas­se den höchs­ten Rabatt gewährt, ist die­ser Preis meist sehr nied­rig. Eine Anpas­sung nach oben – etwa wegen gestie­ge­ner Kos­ten – ist wäh­rend eines lau­fen­den Ver­tra­ges nicht möglich.

Beson­ders fatal: Die­se Instru­men­te wir­ken meist im Zusam­men­spiel auf Gene­ri­ka ein. So unter­lie­gen die aller­meis­ten Gene­ri­ka sowohl einem Fest­be­trag als auch einem Rabatt­ver­trag. Erhöht nun ein Her­stel­ler sei­nen Preis, muss er die­se Erhö­hung direkt wie­der an die Kran­ken­kas­sen abfüh­ren. Denn mit der Preis­er­hö­hung erhöht sich auch der Rabatt an die Kran­ken­kas­se – und der rea­le Preis bleibt wei­ter­hin im Keller.